■ Kuppelklau: Schilfrohr im Wind
Auf den ersten Blick mag das Gezänk zwischen den Architekten Norman Foster (London) und Santiago Calatrava (Valencia) um die Urheberschaft der neuen Reichstagskuppel einem schwülstigen Sommertheater gleichen. „Die Kuppel ist von mir. Foster hat sie geklaut. Der ganze Wettbewerb ist eine widerliche Sauerei!“ ereifert sich der beleidigte Calatrava, der im Rennen um den Auftrag auf der Strecke blieb. Und Foster kontert: „Meine Kuppel sieht ganz anders aus. Calatravas Ding ist leer und quadratisch.“ Alles großer Quatsch also? Mitnichten. Natürlich hat der Spanier recht, wenn er sich aufregt, daß auf dem Reichstag eine Kuppel errichtet werden soll. Hatte er doch für den Bauwettbewerb 1993 eine entworfen. Und natürlich liegt auch Foster richtig, sieht die seine ganz anders aus und hat auch statisch und funktional nichts mit der anderen gemeinsam. Daß Foster damals ein flaches Dach gleich einem Baldachin geplant hatte, ist fast vergessen. Man erinnert sich nur noch an die diversen Zeichnungen für Zylinderaufbauten sowie hohe und niedrige Kuppelformen.
Auf den zweiten Blick verdeutlicht die Polemik um den Kuppelklau noch etwas anderes: Die gängigen Wettbewerbsverfahren für große öffentliche Baumaßnahmen verkommen mehr und mehr zur Farce, mischen sich nachträglich Politiker ein und lassen sich Architekten krummbiegen. Ein letztes Beispiel dafür ist der Streit um das Holocaust-Denkmal, um dessen Sein oder Nichtsein man sich nach Abschluß des Wettbewerbs auseinandersetzt. Beim Reichstagsdach ging es ähnlich zu. Kaum hatte sich die Jury für den Foster- Entwurf – und gegen den von Calatrava – entschieden, revidierten in der Folge Bundestagsabgeordnete peu à peu die Flachdach-Planung. Sie wollten die alte Pickelhaube wieder haben. Daß sich dabei der britische Architekt Foster wie ein Schilfrohr im Wind verhielt und fast allen Begehrlichkeiten und Änderungswünschen nachgab, ist eine Sache – denn jeder weiß, daß er Kuppeln abscheulich findet. Eine andere ist, daß Bauwettbewerbe zum absurden Prozedere absinken, scheißt der Auslober auf die architektonische Idee, auf jede Urheberschaft, auf jede Wettbewerbsentscheidung. Wenn man eine Kuppel haben wollte, warum hat man sie nicht einfach in Auftrag gegeben oder in der Auslobung gefordert?
Ein Rechtsstreit um die Urheberschaft des Kuppelentwurfs wäre das letzte, was gute Architektur brauchte. Vielleicht melden sich noch Wallot-Angehörige und pochen auf das Original. Dem Reichstag hat das Hin und Her um die Dachaufbauten jedenfalls nicht gutgetan. Die neueste verglaste Foster-Kuppel bleibt ein Fremdkörper auf dem Bau. Daß dieser in seinen derzeitigen Proportionen durchaus proper und modern sein kann, hat gerade Christo gezeigt. Rolf Lautenschläger
Siehe Bericht Seite 23
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