: Schicksal — made in USA
Auf Druck von James Baker werden Israel und Syrien über den annektierten Golan verhandeln. Jüdische Siedler und Militärs wollen das Gebiet nicht räumen. Hartnäckig weigern sich die Drusen, Israels Staatsbürger zu werden. ■ VONHALWYNER
Fährt man ein, zwei Tage durch die hügelige, steinige Landschaft der Golanhöhen, so wird es klar: Auf dieses Gebiet wird Israel niemals freiwillig verzichten. In den 24 Jahren seit der Eroberung des Golan im Sechs-Tage-Krieg 1967, wurde das gesamte Gebiet, dessen Berge schon mit dem bloßen Auge einen weiten Überblick auf große Teile Syriens, des Libanon und des in der kargen Landschaft grün leuchtenden Jordantals bieten, zu einem militärischen Stützpunkt ausgebaut.
Nicht umsonst werden die Golan- Höhen in Israel die „Augen des Staates“ genannt. Unzählige Armeelager, welche die Straßen des heute sonst kaum bevölkerten Hochplateaus säumen, sind das sichtbarste Zeichen einer militärischen Infrastruktur, deren unterirdische Ausmaße sich nur ahnen lassen. Auf schmalen, kurvigen Landstraßen, die zum Teil mit großen Schlaglöchern nahezu unbefahrbar gemacht wurden, passiert man im Schneckentempo riesige, mit Stacheldraht umzäunte Felder; hebräisch beschriftete Schilder mahnen zur Vorsicht vor Minen. Dazwischen sieht man idyllische Feldwege, die nur militärischen Fahrzeugen zugänglich sind und zu merkwürdig unnatürlich erscheinenden Bergen mit Zäunen obendrauf führen. Was auch immer sich in, unter oder hinter diesen einstigen Vulkanen versteckt: Würde Israel bei einem Friedensabkommen mit Syrien in die Rückgabe der Golanhöhen einwilligen, müßten vermutlich mehr als nur ein paar einfache Bunker geräumt werden. In Jerusalem denkt niemand daran.
Nicht weniger umstritten als die Zukunft des Golan ist freilich auch seine Vergangenheit. Das rund 1.700 Quadratkilometer große Gebiet am Ostufer des Jordan wurde zwar historisch immer als ein Teil Syriens gesehen, aber Siedlungen auf dem Golan — einschließlich Friedhöfen und Synagogen —, die von Juden zu Zeiten der Rückkehr ins Gelobte Land nach dem babylonischen Exil gegründet wurden, datieren laut Archäologen bis ins 2. Jahrhundert vor Christus zurück. Für die europäischen Juden, die Anfang dieses Jahrhunderts nach Palästina zogen, galten die Golanhöhen allerdings weniger aus historischen oder gar militärischen Gründen als unabdingbar für die Erfüllung des zionistischen Traums: Ihr Interesse galt vor allem den Wasserquellen, aus denen sich Jordan und See Genezareth speisen. Schon 1918 baten sie den Völkerbund, dafür zu sorgen, daß bei der Errichtung einer „jüdischen Nationalheimat“ in Palästina die Wasserquellen des Golan unter ihre Kontrolle kämen. Dennoch lagen die Golanhöhen nach der Festlegung der Grenzen des britischen Mandatsgebietes Palästina 1923 noch immer auf syrischer Seite — damals unter französischer Herrschaft.
Der Krieg, der nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung 1948 ausbrach, führte nur zu geringen Grenzänderungen. Im Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und Syrien wurden zwei entmilitarisierte Zonen errichtet — am Jordan entlang, nördlich des Sees Genezareth und am südöstlichen Ufer des Sees —, die im Laufe der folgenden 19 Jahre regelmäßig ihren Zweck verfehlten. Israel betrachtete die Zonen als dem jüdischen Staat zugehörig und verfügte über sie, um ein Projekt zur Trocknung der Sumpfgebiete im Jordantal fortzusetzen. Zu diesem Zweck wurden auch die Ländereien arabischer Dörfer konfisziert. Um das israelische Projekt zu stoppen, schossen syrische Soldaten von ihren Stützpunkten in den Golanhöhen aus immer wieder auf die israelischen Traktoren, was unweigerlich zu Gegenangriffen führte. Als Israel 1964 damit begann, Wasser aus dem See Genezareth in den Negev zu leiten, wurde syrischen Versuchen, dies zu verhindern — zuerst durch Sabotage, danach durch ein Projekt, die Wasserquellen im Golan vom See abzuzweigen —, mit einem massiven Bombenangriff ein Ende gemacht.
Versuche des UNO-Sicherheitsrates im Laufe der fünfziger und frühen sechziger Jahre durch — meist wirkungslos bleibende — Resolutionen, Israel und Syrien zur Einhaltung des Waffenstillstands zu bewegen, scheiterten endgültig 1967. Am 9.Juni, wenige Stunden nachdem sich Ägypten und Jordanien nach viertägigem Kampf geschlagen gegeben hatten, griff Israel in den Golanhöhen an. Als das letzte Drittel des Sechs-Tage-Kriegs am 10.Juni zu Ende ging, waren etwa 80 Prozent des Gebietes in israelischen Händen.
Vertreibung der Syrer
Laut syrischen Statistiken hatte die Provinz vor dem Krieg eine Bevölkerung von rund 150.000 Einwohnern auf 163 landwirtschaftliche Dörfer und Kleinstädte verteilt, darunter 20.000 Soldaten und 9.500 palästinensische Flüchtlinge. Die meisten israelischen Quellen dagegen schätzen die damalige arabische Bevölkerung im Golan auf 30.000 bis 50.000. Meir Monitz, Vizebürgermeister von Katzrin — mit 3.700 Einwohnern heute die größte jüdische Siedlung im Golan — hält selbst diese Zahl für übertrieben. „Es hat fast niemand hier gewohnt. Wir haben niemanden vertrieben, nichts zerstört“, sagt er.
Etwas mehr Klarheit verschafft das kleine Büchlein Übersicht über die Dörfer im südlichen Golan, paradoxerweise herausgegeben vom „Museum des Landes Isarel“ unter der Leitung von Rehavam Ze'evi, Minister ohne Geschäftsbereich, der während des Golfkrieges ernannt wurde und einen „Transfer“ sämtlicher Araber aus israelischem Gebiet zu seinem politischen Programm gemacht hat. Die Übersicht basiert auf einer „ethnologischen Studie“, die im Juli 1967, nur wenige Wochen nach dem Krieg, durchgeführt wurde. Ihrzufolge lebten vor dem israelischen Angriff etwa 100.000 Syrer im Golan. Die Studie beschäftigt sich hauptsächlich mit der Lebensweise der Dorfbewohner, die ein „stummes Zeugnis eines schweren Existenzkampfes bei ihrer Flucht hinterlassen“ hätten.
Auf den ersten Blick erschien den israelischen Wissenschaftlern der Golan „wie ein Totenreich, wo eine mysteriöse höhere Macht oder eine Naturkatastrophe den Lebenspuls auf einmal zum Stillstand gebracht hatte“, schreibt der Autor, Jehuda Roth. „Ein Getreidefeld, zu dem die Schnitter beim Sonnenaufgang ausgezogen waren, wurde am Nachmittag so unvermittelt verlassen, daß die Handsicheln auf dem Boden liegenblieben. (...) Es fiel uns schwer“, berichtet Roth, „die inneren Widerstände zu überwinden, und in eine von einer hohen Steinmauer umgebene Hütte einzutreten.“
Die Ethnologen bemühten sich, ihre „Skrupel und inneren Widerstände“ möglichst schnell zu überwinden, sagt Roth, aus zwei spezifischen Gründen: „Der erste — wir fanden hier in den verlassenen Dörfern Zeugnisse einer traditonellen Lebensart vor, die in Judäa, Samaria und dem Gazastreifen nicht aufrechterhalten worden war; der zweite Grund — die Dörfer des Golan waren dabei, zerstört zu werden, und der Befehl der Stunde war es, zu studieren, zu fotografieren, das Leben von all seinen Seiten auszukundschaften, bevor Verwahrlosung und Zerstörung hier herrschten.“
Für Annexion entschieden
Einig sind sich fast alle Quellen darin — syrische wie auch israelische —, daß sich kurz nach dem Beginn der israelischen Besatzung in den Golanhöhen die arabische Bevölkerung auf weniger als 7.000 Menschen reduzierte. Nur fünf Dörfer blieben noch stehen, die restlichen, wie auch die Hauptstadt Quneitra, wurden dem Erdboden gleichgemacht. Die erste israelische Siedlung auf dem Golan wurde am 3.Juli 1967 gegründet.
Die früher gehegten Absichten, den Golan neu zu besiedeln, sind allerdings nicht in Erfüllung gegangen. Nach einem im November 1967 angefertigten Plan der „World Zionist Organization“ hätten bis Ende der siebziger Jahre zwischen 45.000 und 50.000 Juden in das ehemals syrische Gebiet ziehen müssen. Für die ideologisch motivierte Siedlerbewegung in Isarel, welche die jüdische Bevölkerung auf der besetzten Westbank und im Gazastreifen auf rund 100.000 anwachsen ließ, hatten jedoch die biblisch weniger „belasteten“ Golanhöhen anscheinend auch weniger Anziehungskraft. Im Laufe der vergangenen 24 Jahre entstanden zwar 31 Siedlungen, aber die gesamte jüdische Bevölkerung auf den Golanhöhen hat noch keine 12.000 erreicht. Die Mehrzahl der Golan- Siedler sind ehemalige Soldaten, die, da sie dort über längere Zeit dienen mußten, ihre Familien zu sich holten und dann auch nach der Armee dort blieben. In letzter Zeit sind auch Neueinwanderer aus der Sowjetunion in den Golan gezogen.
Während jüdische Siedlungen in fast allen Teilen des Golan zu finden sind, die nicht für militärische Zwecke benötigt werden, ist die inzwischen auf rund 15.000 Menschen gewachsene arabische Bevölkerung noch in den selben Dörfern im östlichen Golan geblieben, die 1967 den Bulldozern nicht zum Opfer fielen. Das Überleben dieser Dörfer wird von den Bewohnern vor allem darauf zurückgeführt, daß sie Drusen sind, Angehörige einer kleinen, aus dem Islam hervorgegangenen Sekte, mit der Israel, in seinen alten Grenzen, bis dahin gute Erfahrungen gemacht hatte. Seit 1948 hatte sich die drusische Gemeinde Israels dem jüdischen Staat gegenüber loyal verhalten. Während die moslemischen Araber sich weitgehend als Teil des palästinensischen Volkes betrachtete, dienten die Drusen freiwillig in der israelischen Armee.
Die Drusen der Golanhöhen stellten sich jedoch bald als Enttäuschung heraus. In den Jahren nach 1967 wurden Hunderte aus „Sicherheitsgründen“ verhaftet, vor allem, weil sie Kontakte mit Syrern unterhielten. Nach dem Tod des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser 1970 versammelten sich Tausende auf den Straßen von Madschda al Schams, dem größten der drusischen Dörfer, um gegen die israelische Besatzung zu protestieren.
Der beinahe erfolgreiche Versuch Syriens, im '73er Krieg gegen Israel die Golanhöhen zurückzuerobern, hatte viele Israelis davon überzeugt, daß das Gebiet offiziell annektiert werden mußte. Ohne diesen Schutz, hieß es, wäre es der syrischen Armee bei dem Überraschungsangriff womöglich gelungen, Haifa zu nehmen. Unter keinen Umständen könne Israel es sich leisten, diesen strategischen Vorteil aufzugeben.
Als sich die Rufe in Israel nach Annexion gegen Ende der siebziger Jahre vermehrten, wurden ebenfalls neue Schritte unternommen, um die drusische Bevölkerung im Golan davon zu überzeugen, die israelische Herrschaft freiwillig anzunehmen. Schon Ende der sechziger Jahre hatte die Armee Soldaten als Lehrer in die drusischen Schulen geschickt, um Hebräisch zu unterrichten. Das syrische Schulprogramm war abgeschafft, Kurse über jüdische und zionistische Geschichte eingefügt worden. Jetzt wurde die israelische Staatsbürgerschaft zur Bedingung gemacht, um alles — von Baugenehmigungen über Führerscheine — zu erhalten.
„Besetztes Volk“
Als die Golanhöhen im Dezember 1981 unter Menahem Begin von der Knesset offiziell zu einem Teil Israels erklärt wurden, hatten dennoch nur wenige Golan-Drusen — die von ihren Mitbürgern deswegen als Kollaborateure bezeichnet und gemieden wurden — den israelischen Paß angenommen. Als die Annahme der israelischen Staatsbürgerschaft von der Regierung zur Pflicht erklärt wurde und Aktivisten, die dagegen protestierten, verhaftet wurden, riefen die drusischen Dörfer am 14.Februar einen unbefristeten Generalstreik aus. Nach sechs Wochen wurden die Dörfer drei Tage lang unter Ausgangssperre gestellt und 15.000 israelische Soldaten gingen von Haus zu Haus, um die alten militärischen Ausweise, die die Bevölkerung bis dahin getragen hatte, zu konfiszieren und durch neue Zivilausweise zu ersetzen. Diese wurden jedoch abgelehnt, der Streik ging weiter.
Auf einer Pressekonferenz in Jerusalem bestanden Drusen aus dem Golan auf ihrem „Recht, als besetztes Volk angesehen zu werden“. Erst nachdem der Streik in den sechsten Monat gegangen war, gab die Regierung nach und die Annahme der israelischen Staatsbürgerschaft wurde wieder auf freiwillige Basis gestellt.
Seitdem wird in Madschdal Schams, das direkt an der Grenze liegt, der 14.Februar — der Tag, an dem der Streik begann — wie auch der syrische Nationaltag, der 17.April, mit einem Generalstreik und Demonstrationen begangen.
Dieses Jahr fiel der israelische Unabhängigkeitstag ebenfalls auf den 17.April. Während in Jerusalem und Tel Aviv die Massen feiernd durch die Straßen gingen, saß man in Madschdal Schams vor dem Fernseher, um in den syrischen Nachrichten zu sehen, wie man am Vormittag von den Dächern aus mit syrischen Fahnen Bekannten auf der anderen Seite zugewinkt hatte.
Selbst die stärksten Gegner der israelischen Besatzung behaupten freilich nicht, daß ihre Lage mit der der Palästinenser auf der Westbank und in Gaza vergleichbar sei. Zum einen, erklärt Salman Fahr A-Din (30), der sich momentan wegen „Aufwiegelung“ unter Hausarrest befindet, sei die syrisch-israelische Grenze seit Jahren „nicht nur ruhig, sondern geradezu höflich“, so daß die Armee in Madschdal Schams nicht sonderlich viel zu tun habe. Zum anderen, erklärt er, gibt es schließlich über 1,5 Millionen Palästinenser in den „anderen besetzten Gebieten“ und nur 15.000 Drusen im Golan. „Vor uns müssen die Israelis keine Angst haben“, sagt A-Din.
Viele jüdische Siedler im Golan glauben hingegen, daß die Behauptungen der Drusen, sie wollten wieder Syrien angehören, nur für Journalisten gedacht seien. „Wir haben sehr gute Beziehungen zu ihnen“, sagt Vizebürgermeister Monitz aus Katzrin, „und uns sagen sie etwas ganz Anderes. Daß sie sich öffentlich gegen Isarel äußern, tun sie nur aus Angst — vor den eigenen Aktivisten und vor Repressalien in Syrien, sollte Israel das Gebiet jemals aufgeben. Sie haben keinen Grund, mit Israel nicht zufrieden zu sein.“
Wo auch immer die Wahrheit liegt — weder Juden noch Drusen haben im Golan momentan das Gefühl, daß sie über ihr eigenes Schicksal verfügen. Auf beiden Seiten wächst die Überzeugung, daß Israel und Syrien in absehbarer Zeit dem amerikanischen Druck nachgeben werden und Frieden miteinander schließen: Und auf beiden Seiten hat man Angst, die Lösung könne zum eigenen Nachteil ausfallen.
In Katzrin werden Proteste organisiert gegen Statements einiger Minister, welche die Bereitschaft der israelischen Regierung erklärten, über die Golanhöhen zu verhandeln. „Was ist das für ein Frieden, von dem sie reden?“, klagt Meir Monitz, „wir sind seit über 20 Jahren hier zu Hause. Man kann Menschen nicht einfach aus ihren Häusern werfen“.
In den verbliebenen arabischen Dörfern ist man dagegen sicher, daß die jüdischen Siedlungen, wie auch die israelischen Militäreinrichtungen im Golan, auch nach einem Friedensvertrag dort bleiben werden, wo sie sind. „Assad muß jetzt das annehmen, was die Amerikaner ihm zu geben bereit sind“, meint Salman Far A-Din. „Baker wird ihm Madschdal Schams und die Drusen anbieten, er wird sie nehmen, und in Israel wird man sich freuen, uns loszuwerden.“
Und wenn sie sich nicht so einigen? „Dann gibt es wieder einen Krieg.“
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