: Scheitern als Chance
■ Alexander Mittas Leuchte, mein Stern, leuchte in der Reihe „Play it Again“
Gleich zwei sowjetische Klassiker füllen das Monats-Programm der „Play it Again“-Reihe in 3001, Zeise und Abaton. Zu sehen war bereits in der ersten März-Woche der immer mal wieder gezeigte Wenn die Kraniche ziehen von Michail Kalatosow; in dieser Woche reist eine Kopie von Alexander Mittas Leuchte, mein Stern, leuchte durch die genannten Kinos.
Mitta, übrigens bis vor kurzem Regie-Dozent an der Hamburger Uni, gilt als einer der wenigen heute noch „filmisch aktiven“ Vertreter der sowjetischen Sechziger-Jahre-Generation. Sein 1969 gedrehter Film Leuchte, mein Stern, leuchte – Gori, gori, moja zwesda – ist ein wunderschönes Beispiel des Post-Tauwetter-Kinos und erscheint, aus der heutigen Perspektive gesehen, als eine Art Nachtrag zum sowjetischen Kulturdiskurs der Sechziger (die bekannterweise, nicht nur in der Sowjetunion, 1968 zu Ende gingen).
Indem er sich anstatt von „unfotogen“ gewordener Gegenwart an die stilisierte, farbige Vergangenheit wendet – der Film spielt in den zwanziger Jahren –, verabschiedet sich Mitta von der (bis dahin) ins „Hier-und-heute“ verliebten schwarz-weißen „neuen Welle“. Die Wahl der Zeit ist aber bei weitem kein Zufall: Die Parallele zwischen den turbulenten utopischen Zwanzigern und den rebellisch-idealistischen Sechzigern ist mehr als offensichtlich. Dabei sind im Film auch einige Galionfiguren der sowjetischen „neuen Welle“, wie die Regisseure Marlen Chutsiew und Wladimir Naumow, höchstpersönlich zu sehen.
Wir sind im Jahre 1920, mitten im russischen Bürgerkrieg, in einem kleinen südrussischen Städtchen, das abwechselnd von den Weißen, den Roten und den Grünen (so nannten sich damals bewaffnete anarchistische Bauernverbände; nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Bundespartei) besetzt wird und nun auch vom Schauspieler Iskremas (ein programmatisches Pseudonym aus den Abkürzungen von „Iskusstwo rewoluziji massam“ – „Kunst der Revolution für die Massen“) heimgesucht wird.
Wladimir Iskremas, dessen Liebe für immer dem Theater und der Revolution gilt, ist ein unermüdlicher Weltverbesserer. Von seiner kleinen Wanderbühne herab versucht er, die oben erwähnten Massen mittels Kunst zu neuem Leben zu erwecken. Was ihm am Ende beinahe gelingt, bis er schließlich, von der kunstfremden Realität eingeholt, zum Opfer einer selbst inszenierten Tragödie wird.
Leuchte, mein Stern, leuchte ist eine von sanftem Humor und lichter Poesie erfüllte Parabel über die Kunst, die Gesellschaft und das Scheitern, das (manchmal) die einzige Chance ist, sein „Ja“ zu bewahren. In seinem Vorhaben, die Menschen frei und glücklich zu machen, scheitert Iskremas letzt-endlich genau so, wie die sowjetischen Sechziger in ihrem Versuch, dem real existierenden Sozialismus das „menschliche Gesicht“ zu verleihen.
Gleich nach seiner Fertigstellung wurde der Film von der mittlerweile wieder aktiv gewordenen Zensur bis auf weiteres verboten. Dem Regisseur Mitta warf man vor, sein eigenes (!) Drehbuch missverstanden und falsch interpretiert zu haben. Diese auf den ersten Blick absurde Begründung erscheint, aus der „richtigen“ Perspektive gesehen, als eine skurrile Anspielung an das im Film ausführlich behandelte Thema der künstlerischen Selbstbestimmung.
Seine späteren Drehbücher hat Alexander Mitta schon etwas besser „verstanden“, bis er schließlich Ende der Neunziger als Regisseur einer erfolgreichen Serie ins neurussische Fernsehgeschäft eingestiegen ist. Was ja auch eine Art ist, wie sich der Kreis schließen kann, der das Leben, die Kunst, die Vergangenheit und die Gegenwart verbindet. Alexander Mirimov
Do + Fr, 17 Uhr, Abaton, Sa + So, 18 Uhr, 3001, Di, 17 Uhr + Mi, 22.30 Uhr, Zeise
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