■ Scheibengericht: George Antheil
Ensemble Modern: „Fighting the Waves“ (RCA/BMG-Ariola)
Der Aufmerksamkeit eines maulenden und pfeifenden Publikums soll der amerikanische „Pianist- Futurist“ und Komponist George Antheil Anfang der 20er Jahre schon mal dadurch auf die Sprünge geholfen haben, daß er die Ausgänge verriegeln ließ und für alle sichtbar eine Pistole aufs Klavier legte. Diese und ähnliche Anekdötchen trugen zwar enorm zu seinem Bekanntsheitsgrad bei, den Ruf, ein Blender zu sein, wurde er allerdings so schnell nicht mehr los.
Zu Unrecht. Antheil war einer der ersten, die ihre Faszination für und Skepsis gegenüber Maschinen und mechanistischer Ästhetik in ihrer Musik verarbeiteten. Konkreter Ausdruck davon ist eine stark rhythmisch-motorische Komponente, die in ihrer Art auch den damaligen Einfluß Strawinskys verrät, gekoppelt mit Anklängen an Jazz, frei nach der Devise, daß zwei Stühle nun mal dafür da sind, sich dazwischen zu setzen.
Ein Schlüsselwerk in dieser Hinsicht ist das „Ballet mécanique“ (das in Wirklichkeit weder ein Ballett noch rein mechanisch ist und ursprünglich mit dem gleichnamigen Film von Dudley Murphy und Fernand Léger synchronisiert werden sollte) von 1926. Bei der vorliegenden Fassung für vier Klaviere und Schlagzeug von 1952/53 hat Antheil das Instrumentarium von 16 elektrischen Pianolas, Schlagzeug und Flugzeugpropeller zwar deutlich reduziert, der Energie und der Komik des Stückes tut dies keinen Abbruch. Antheil muß sich bei der Komposition geradezu im Rausch der Geräusche befunden haben. Dabei ging es ihm weniger darum, Maschinen realistisch nachzuahmen, als um Inspiration und Tonsprache aus Technik.
Zwar enthält die CD auch weniger bedeutende Kompositionen, und seine frühen, aufsehenerregenden Klavierstücke wie „Death of the Machines“ oder „Airplane Sonata“ sind nicht dabei. Es wurden aber auch einige Raritäten ausgegraben, von denen derzeit keine anderen Aufnahmen erhältlich sind. Und: Das Ensemble Modern, das sie ausgebraben hat, ist interpretationsmächtig genug, der Antheilschen Mischung von Raserei und Präzision, Larmoyanz und Satire gerecht zu werden.
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