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Scheckbuch-Journalismus goes East

■ Für eine Handvoll Dollar spricht auch der Chef der Schwarzmeerflotte ins West-Mikro

Moskau (wps/dpa) — In der unabhängigen Moskauer Tageszeitung 'Istwestia‘ war kürzlich auf der ersten Seite zu lesen: Dmitri Wassiljew, Chef der russisch-nationalen Pamjat-Gruppe, hat seine „Stundenlöhne“ bei Interviews für ausländische Journalisten von 100 Dollar (rund 160 Mark) auf 150 Dollar angehoben — zahlbar in (westlichen) Währungen, versteht sich. „Vielleicht hören sie nun auf, mich zu belästigen; ich halte es nicht mehr aus“, kommentierte Wassiljew, bekannt für heftige fremdenfeindliche und antisemitische Äußerungen, die Veröffentlichung.

Das Überraschende an dem Statement war nicht die Tatsache an sich, sondern die Offenheit, mit der Wassiljew über die in Moskau inzwischen gängige Praxis von Angebot und Nachfrage bei der Vergabe von Interviews sprach. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang der früheren Sowjetunion und dem Vakuum, auf das die Gesellschaft zutreibt, nimmt die Zahl derjenigen zu, die aufgrund ihrer Position im Staat eine schnelle Mark machen wollen.

Noch vor wenigen Jahren war es für einen westlichen Journalisten nahezu unmöglich, von einem Sowjetoffiziellen einen Interviewtermin zu bekommen. Danach folgte — in Begleitung von Gorbatschows Glasnost — eine kurze Zeit, in der sich manche verschlossene Tür auftat und in der manchem Politbüromitglied plötzlich ein Lächeln übers Gesicht huschte. Nun ist die Epoche des Scheckbuch-Journalismus angebrochen: Ein Interview mit dem früheren sowjetischen Abwehrchef gefällig? — Selbstverständlich, macht 600 bis 700 Dollar. Ein Gespräch mit einem Kandidaten in der Todeszelle? — 1.000 Dollar. Mit dem Chef des Raumfahrtzentrums vielleicht? — Nur 200 Dollar. Oder wie wäre es mit dem Kommandeur der Schwarzmeerflotte? — Das ist Verhandlungssache. Ein Photo aus dem Lenin- Mausoleum? — 5.000 Dollar. Am zahlungsfreudigsten sind die Japaner, gefolgt von amerikanischen und französischen TV-Gesellschaften sowie britischen Zeitungen.

Das Atomenergie-Ministerium will demnächst eine Preisliste für Interviews und möglicherweise auch für Besichtigungen brisanter Einrichtungen zusammenstellen. Dem Sprecher war es bei diesen Aussichten unwohl in seiner Haut, aber sein Ministerium sei arm und habe Geld bitter nötig. Im übrigen sei sein Haus vom Verteidigungsministerium angesprochen worden, doch gemeinsam eine Preisliste herauszugeben. Der Putsch vom vergangenen August öffnete dieser Art von Journalismus Tür und Tor, nach dem es den Offiziellen gestattet wurde, auch mit Ausländern Geschäfte zu machen. Einer der ersten, der Geld für ein Interview nahm, war Valentin Stepankow, Rußlands Generalstaatsanwalt, der auch die Untersuchungen bei der Aufarbeitung des Putsches leitet. Als erste reihten sich unter anderem Journalisten des amerikanischen 'Wall Street Journal‘ und der britischen Fernsehgesellschaft BBC mit 250 bis 400 Dollar in der Tasche in die Schlange der Interviewer ein.

Kurz danach sorgte 'Der Spiegel‘ für Aufregung: Er veröffentlichte in ganzer Breite Protokolle über die Befragung von Putsch-Beteiligten — darunter Aussagen des Verteidigungsministers Dmitri Jasow und des früheren KGB-Chefs Wladimir Krjutschkow. Stepankow freilich weist jegliche Beteiligung an einer Weitergabe der geheimen Video- Kassetten weit von sich — und vermutet hinter dem Vorgang den Versuch, seine Ermittlungen zu behindern. Michael Dobbs

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