piwik no script img

Schalker Verhältnisse

■ Nach dem Rücktritt des Präsidenten Günter Eichberg sucht der FC Schalke 04, Tabellenletzter der Fußball-Bundesliga, einen neuen Zahlmeister

Berlin (taz/dpa) – Geradezu begeistert erzählte Jörg Berger am Samstag im „ZDF-Sportstudio“, wie froh er sei, endlich wieder als Fußballtrainer arbeiten zu dürfen. Völlig ungenießbar sei er, wenn er gerade keine Mannschaft unter seinen Fittichen habe, seine Frau müsse ihn dann immer zum Spazierengehen scheuchen, damit ihm die Decke nicht auf den Kopf falle. Als dann das Telefon klingelte, der Vereinspräsident eines Bundesliga-Klubs am anderen Ende der Leitung war und ihm ein Angebot unterbreitete, muß Berger vor lauter Euphorie vollkommen entgangen sein, um welchen Verein es sich handelte. „Ich hatte hier mit geordneten Verhältnissen gerechnet“, sagte er einige Tage nach seinem Amtsantritt. Das, Herr Berger, hat in 30 Jahren Bundesligageschichte noch kein Trainer von Schalke 04 zu äußern gewagt.

Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße. Erst rannten beim 1:5 in Leverkusen die Abwehrspieler durcheinander, dann rannte der Torwart weg und zu guter Letzt auch noch der Präsident. Schalke 04, wie es singt und lacht. „Ich bin total überrascht und tief getroffen“, kommentierte Jörg Berger den überraschenden Rücktritt des Präsidenten Günter Eichberg, scheint sich aber noch immer nicht ganz im klaren über sein neues Wirkungsfeld zu sein: „Ich hoffe, daß es jetzt keine zusätzlichen Probleme und Unruhen gibt.“

Zwei Wochen nach seinem triumphalen Auftritt bei der Mitgliederversammlung, als er sich nach feuriger Rede und vollmundigen Zukunftsversprechungen mit überwältigender Mehrheit im Amt bestätigen ließ, fiel Eichberg urplötzlich ein, daß er dieses aus beruflichen Gründen ja gar nicht ausüben könne. „Geschäftliche Verpflichtungen im Ausland“ würden den Klinikbesitzer daran hindern, das Amt des Präsidenten auszufüllen, allerdings wolle er noch bis zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im Januar in einem begrenzten Rahmen zur Verfügung stehen.

„In ein bis drei Jahren wollen wir Schalke mit Engagement und solider Arbeit in vordere Tabellen- Regionen führen“, hatte Eichberg bei der Jahreshauptversammlung verkündet und jeden Gedanken an einen Rücktritt weit von sich gewiesen. Eine Professionalisierung der Vereinsstruktur sollte künftigen Höhenflügen den Boden bereiten, doch die spielerischen Darbietungen der Fußball-Knappen in den letzten Wochen scheinen Eichbergs kühne Zukunftsvisionen hinweggefegt und statt dessen tiefe Resignation gesät zu haben.

In Schalke grassiert nunmehr die blanke Existenzangst. Einen zweistelligen Millionenbetrag hat Eichberg in den vergangenen vier Jahren in den Verein gesteckt, außer ihm ist niemand in Sicht, der den mit 7,5 Millionen Mark verschuldeten Klub finanziell über Wasser halten kann. Auf seine geordneten Verhältnisse muß Jörg Berger wohl noch lange warten und wird sich womöglich in nicht allzu ferner Zeit wünschen, daß ihm statt Schalke in den Schoß vielleicht doch lieber die Decke auf den Kopf gefallen wäre.

Andererseits wäre Schalke nicht Schalke, wenn es nicht auch in ausweglosen Lagen für die eine oder andere Überraschung gut wäre. Ein Präsidenten-Triumvirat vielleicht mit Oskar Siebert, Charly Neumann und Udo Lattek, ein Jürgen Möllemann mit dem revolutionären Vorschlag, für jeden benutzten Einkaufswagen in Gelsenkirchen einen Groschen an den Klub abzuführen, oder eben doch wieder Günter Eichberg. Bis Januar kann noch viel passieren auf Schalke. Matti

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen