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Schäbig, sinnlos, angstvoll, einsam, ...

■ ... packend: André Hélenas „Dem lieben Gott ist es scheißegal“

Seine Tage sind mit Alkohol und Gedanken gefüllt. Félix Froment verbringt sie in einer schäbigen Pension in einer noch schäbigeren französischen Kleinstadt. Seine Vergangenheit ist Elend, Betrug, Mord, Strafkolonie. Seine Gegenwart: Einsamkeit, Sinnlosigkeit, Angst, Flucht. Der Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg ist jung – Félix ist es auch. Aber die Welt ist schlecht – genau wie Félix.

Glück für den Leser, Pech für den Kritiker: In Dem lieben Gott ist es scheißegal, diesem packenden Roman von André Hélena, passiert sehr wenig – inhaltliche Zusammenfassung überflüssig! Was das Buch statt dessen so lesens- und erlebenswert macht, sind die Atmosphären und die Sprache, die sich schwer nacherzählen lassen. Eine Kostprobe: „Als ich mich umdrehte und einen Blick zurück in den Innenhof des Hotels warf, sah ich die wie zum Kampf aufgestellten Mülleimer, den Hund, der mich ängstlich anblickte, und diese Fenster ohne Aussicht, die jene Verzweiflung, die man in den Augen der Armen sieht, widerspiegelten. Das gab mir mit einem Schlag meinen Mut wieder.“

Nein, Verzweiflung ist nichts für Félix, der nichts hat, nichts verlieren kann und nichts erwartet. So bleibt ihm genügend Zeit und Kraft, uns mit harten Worten und klaren Sätzen in seinen dunklen Kosmos hineinzuziehen. Und während es draußen unablässig graue Bindfäden regnet, naht das unausweichlich böse Ende mit einem überraschenden Showdown.

Wer wissen will, was ein Roman Noir ist, sollte dieses 1949 erstmals erschienene Buch lesen, das seit kurzem im Hamburger Nautilus Verlag in deutscher Übersetzung vorliegt. Sein Autor André Hélena (1919-1972) war ein ausgewiesener Pariser Bohemien, der sich auch als Journalist, Regie-Assistent und Film-Szenarist durchs Leben jobbte. Und wie ein guter Film zieht auch Dem lieben Gott ist es scheißegal sein Publikum tief hinein in eine faszinierend elende und gewalttätige Welt. Auf die zwei weiteren Romane von André Hélena, die demnächst erscheinen sollen, kann man sich deshalb vielleicht nicht gerade freuen. Aber viele Leser werden sie mit Ungeduld erwarten. Nur Suchtgefährdete sollten den Umgang mit Hélena meiden. Nele-Marie Brüdgam

André Hélena: Dem lieben Gott ist es scheißegal; Edition Nautilus, 222 Seiten, 28 Mark

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