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Sartres Freude

Komplizierte Identifikation: Tocotronics Meta-Mega-Rock  ■ Von Michael Hess

Nein, ihre neue Platte heißt nicht Ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie nun ja. Befürchtungen, Tocotronic könnten nach Es ist egal, aber nolens volens mit ähnlichem Phrasengebrabbel weitermachen, sind somit vom Tisch. Diesmal lautet ihre Dialektik knapp K.O.O.K. – Knock-out okay, was immer das heißen mag. Das Visitenkartenmotto eines Berufsboxers oder einfach nur ein großer, bunter Bubblegum? Eine Warnung gar? „K.O.O.K! That's what we say!“

Das schwarze Cover mit der giftgrünen Schrift gemahnt an üblen Deutsch-Punk der 80er. Gute Tarnung, alter Trick. Natürlich bleiben Los Tocos, wie sie in diesem Samba-Sommer liebevoll von ihren Fans genannt werden, unsere Lieblings-Mariachis des leicht misanthropischen Weltschmerzes. Schwelgerisch, wenngleich nur noch selten zornig, bedeutet ihr Ende Juni erscheinendes fünftes Album dennoch eine große Kehrtwende. Fast zwei Jahre haben sich die drei dafür Zeit genommen. Einer kleinen Ewigkeit im Toco-Kosmos, in dem sonst die Platten zum Wechsel der Jahreszeiten erschienen. Stolz zählte man die 70 Studiotage, die man brauchte, um die 70 CD-Minuten zu füllen. Viel nahmen sie sich vor, reisten von Hamburg nach Frankreich und weiter nach Weilheim, arrangierten dort Bläser, Streicher und jede Menge Toco-Elektronik zu einem, ja nun, Alterswerk.

Jedenfalls wich der manchmal aufbrausende, meist ein wenig harmlos wirkende Zorn der frühen Jahre einer ironiefernen Ernsthaftigkeit, die erwachsen genannt werden muß. Die Jammerlappen bleiben weitestgehend trocken. So hat sich bei Tocotronic eine neue, eine politische Ästhetik breitgemacht. Das leidende Subjekt ist nicht mehr auf sich allein gestellt, sondern sucht sich seinen Platz in der Realität, findet sein Ich im Wir. Gleichzeitig gewinnt das vormals verschwommen wirkende Private aus der Ferne an Kontur und bezieht gesellschaftlich Stellung. Dabei setzen Tocotronic nicht auf schnelle Slogans, sondern vertrauen ganz ihrem Sentiment. K.O.O.K. ist eine zärtliche Platte, da bedarf es ganz weniger Berührungspunkte. Wie in „Die neue Seltsamkeit“, dem Schlüsselsong zur aktuellen Befindlichkeit. Eine scheinbar perspektivlose Apokalypse tut sich hier auf, schildert die reale Wirkung des Unaussprechbaren. Die Zukunft betrachtet die Vergangenheit und erklärt damit die Gegenwart – der Hörer indes bleibt ausgeschlossen, sein Identifikationsstandpunkt ungeklärt. Sartre hätte an diesem Song seine Freude gehabt.

Andererseits bedeutet K.O.O.K. Bom-bast. Es wurde gefriemelt, als habe man endlos Zeit. Schon lange kokettierten Tocotronic mit den Rock-Dinos, die ähnlich dachten. Prolliger Jeansjackenaufnäher-Rock von Kiss, AC/DC oder Thin Lizzy. Jetzt wird überdeutlich, daß die Band 70's-Rock und Punk nicht als Gegensätze begreift, sondern als Stile, die sich den späten 90ern gegenüber neutral verhalten. Damit läßt sich arbeiten. Spielerisch. Für die Single „Let there be rock“ klaute sie den Titel bei AC/DC, die Trompetenfanfare bei The Final Countdown und das inhaltliche Motiv bei Neil Young: „Keep on Rockin' in the free world!“ Dazu singen sie teilnahmslos einen Punkrock-Text herunter: „Alles was wir hassen / seit dem ersten Tag / wird uns niemals verlassen / weil man es eigentlich ja mag.“ Nichts anderes bedeutet K.O.O.K.

Sa, 5. Juni, Schauspielhaus (ausverkauft)

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