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SanssouciVorschlag

■ Das Doppel: Nothnagel & Herrgott im Hoftheater Prenzlauer Berg

Es gibt bekanntlich kulturinteressierte Menschen, denen es schwerfällt, sich angesichts der Fülle des Angebots zu entscheiden: Gehe ich heut abend ins Konzert oder doch lieber in die Lesung? Klaus Nothnagel und Gerhard Herrgott haben ein Herz für Unentschlossene und bieten ihnen einfach beides. Der eine liest zehn neue eigene Texte, der andere spielt zehn neuinterpretierte Klavierstücke bewährter Meister. „Satirische und clavierische Erhebungen und Entsorgungen“ lautet der Untertitel des paritätisch gemischten Doppels, das sein Publikum ständig zwischen Kichern und andächtigem Lauschen hin- und herzieht.

Klaus Nothnagel nimmt vornehmlich Zeitungsmeldungen zum Anlaß, die Wirklichkeit und ihre Trends samt ihrem realsatirischen Gehalt spitzfindig zu sezieren und sprachkunstfertig zu entsorgen. Steine humoristischen Anstoßes finden sich überall: In der Meinungsumfrage nach dem Selbstbild des deutschen Mannes, im Unfallbericht eines BMW-Managers sowie in der betroffenen Meldung über ein thüringisches Dorf, das – wir erinnern uns – seinen schwarzen Briefträger zur bundesweiten Empörung vergraulte. „Nicht fies und frech zum Neger sein!“ fordert Nothnagel respektlos und fern von jeglicher politischen Korrektheit. Bis sich auch das Publikum von solch unnötigen Hemmungen befreit hat, dauert es allerdings eine Zeitlang. Spätestens beim „Funktelefon unter der Soutane“ und all dem „Schweinkram, mit dem uns die Pfaffenschaft in letzter Zeit so prächtig unterhalten hat“, stellt jedoch selbst der moralisch Intakteste fest, daß es sich politisch unkorrekt um so breiter grinsen läßt.

Was noch? Absurditäten des Alltags. Wußten Sie, daß ein tiefgekühltes Hacksteak laut Beschluß eines Landgerichtes „bröckelig“ zu sein hat? Derartige Sprachschöpfungen – das minderwertige Pizzasalami-Imitat namens Plockwurst zählt auch dazu – kann sich selbst ein Satiriker nicht besser ausdenken, wohl aber zu unser aller Erheiterung aufspießen, drehen und wenden, bis sie im Munde zergehen. Der hörfunkerfahrene Autor Nothnagel beherrscht zudem die Kunst des Lesens derart, daß neben aller Zwerchfellgymnastik auch die Ohren stimuliert werden. Gerhard Herrgott macht hingegen seinem Familiennamen musikalisch alle Ehre und erhebt uns mit Werken von Bach bis Prokofjew in eine zeitlose Stimmung – auf das Lachen folgt wohlweislich die Katharsis. Anne Winter

„Das Funktelefon unter der Soutane“, vom 15.-17.9., 20.30 Uhr, Hoftheater Prenzlauer Berg, Sonnenburger Straße 70.

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