Sanssouci: Rundumschlag
■ Einkaufen, Folge 3: Laß die Seele baumeln mit Häagen-Dazs
Einkaufen ist schrecklich. Es gibt Leute, die beim Gedanken beispielsweise an fabrikneue Kleidungsstücke in schiere Panik geraten. Ich fühle mit ihnen. Klamotten kaufen (oder auch Einrichtungsgegenstände, o Gott!) ist etwa so wie ein Besuch beim Zahnarzt oder beim Friseur. Horror. Man weiß nie, was ist, wenn man nach vollbrachter Tat wieder zur Besinnung kommt (respektive die Wirkung der Betäubungsspritze nachläßt). Andererseits: tagtäglich Ärger, Streß, überfüllte U-Bahnen, ungeliebte Nachbarn. – Die Menschen machen sich kaputt. Was Wunder, daß das keiner aushält. Und hier liegt die tiefenpsychologische Dimension des Einkaufens.
In Supermärkte jedenfalls bin ich schon immer gerne gegangen. Inzwischen verbringe ich meine spärlich bemessene Freizeit am liebsten bei Meyer in der Yorckstraße. Dieser Reichtum, diese unglaubliche Vielfalt, und alles zum Aufessen! Seit ich für harte Arbeit hartes Geld verdiene, schlage ich in unregelmäßigen Abständen zu, etwa alle drei Wochen: Parmaschinken, Bündnerfleisch, Räucherlachs, ein gutes Fläschchen Wein, Eiskrem. Vor ein paar Monaten brachte eine gleichgesinnte Freundin eine Packung Häagen-Dazs zum Abendessen mit. Trotz Schwierigkeiten beim Memorieren des komplizierten Markennamens: es war eine echte Entdeckung. Seither sterbe ich für Fruchteis im allgemeinen und für die Sorte „Mango“ im besonderen. Irgendwie muß man sich ja belohnen. Sich der Mühsal des Tages entledigen. Ausspannen. In sich kehren. Die Seele baumeln lassen und innerlich Zwiesprache halten. Ein zünftiges Besäufnis ist da keine Lösung. Selbstversuche haben ergeben, daß die Art der geistigen Reinigung, von der hier die Rede ist, vor, sagen wir, einem üppig belegten Lachsbrötchen sehr viel besser funktioniert.
Einwände dagegen sind zugegebenermaßen nicht so einfach vom Tisch zu wischen. Während man sich mit Leckereien vollstopft, erliegt man dem Irrglauben, daß, was teuer war, auch gut sein muß. Dazu kommt die Selbstüberschätzung: Wer sich was leisten kann, so meint man, hat es geschafft. Okay. Stimmt. Ist sicher richtig. Einwände akzeptiert. Um aber doch noch einmal zum eigentlichen Thema zurückzukehren: Warum macht Schlemmen dann trotzdem soviel Spaß? Woher rührt sie, diese tiefe Befriedigung? Diese innere Stimme beim Tütenschleppen, die sagt: heute ist ein guter Tag? Ulrich Clewing
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