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SanssouciVorschlag

■ Edith Clever kehrt mit „Medeia“ an die Schaubühne zurück

Klagelaute, die nicht mehr menschlich sind, das Gebrüll eines gequälten Tieres. Es tritt auf Medeia, die betrogene Frau. Gräßlich wird sie sich an ihrem treulosen Gatten Jason rächen. Aber diese Medeia ist kein rasendes Schreckensweib. Zierlich setzt sie ihre Schritte, ohne große Gesten schildert sie das ihr angetane Unrecht und den Racheplan. Edith Clever läßt die Verse des Euripides für sich sprechen, sie stellt ihre große Schauspielkunst nicht aus – und steht um so wirkungsvoller im Mittelpunkt. Medeia, die angebliche Barbarin, wirkt weit zivilisierter als die Hellenen Jason und Kreon. Peter Simonischeks Jason, ein Kraftprotz mit Bauernschädel, strahlt grenzenlose Selbstgewißheit aus. An seiner Rüstung perlen Medeias Vorwürfe ab wie Wasser. Dafür liegt er am Ende auf dem Rücken, ein dicker Käfer, wortlos und voll unbegriffenen Leides.

Futuristische Antike auf Susanne Raschigs Bühne: Clever wandelt auf Kothurnen, Stirn und Schläfen treten maskenhaft hervor. Ein breites Stahlband umzirkelt die einfache Spielfläche aus Brettern und den Orchestergraben. Im Hintergrund glitzert eine abweisende Wand aus Lamellen. König Kreon (Wolf Redl) tritt auf einer Zugbrücke aus ihr hervor, Jason steigt eine Treppe hinab: Die obere Etage gehört den Herrschenden. Etwas zu simpel geraten sind auch andere Bilder – etwa wenn die Chordamen zum Zeichen der Trauer schwarze Schleier überwerfen. Medeias Kinder, Spielbälle im Krieg der Eltern, werden durch zwei Porzellanpüppchen verkörpert. Das ist unfreiwillig komisch und nimmt dem Mord an den Unschuldigen den Schrecken.

Zuweilen klingt aus dem Graben gedämpftes Trommeln. Die Percussionistin Robyn Schulkowsky hat die Chorverse vertont – mit viel Rücksicht auf Hörgewohnheiten. Hier und da klingt es ein bißchen dissonant, ansonsten baden die fünf Frauenstimmen im Wohlklang. Den sperrigen antiken Chor durch Musik zu glätten erscheint als elegante Lösung. Aber die Regisseurin Edith Clever verläßt sich zu sehr auf solches opernhaftes Futter für Auge und Ohr. Erst der Schluß findet zur Kraft des Beginns zurück. Medeia steigt langsam im Lift empor. Grelles Licht aus der Tiefe gibt ihrem Gesicht dämonische Konturen. Allem menschlichem Leid scheint sie nun enthoben. Doch dann, schon im Dunkeln, stöhnt sie noch einmal auf vor Schmerz. Miriam Hoffmeyer

Heute, 20 Uhr, Schaubühne am Lehniner Platz, Charlottenburg

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