■ H.G. Hollein: Sangeslust
Die Frau, mit der ich lebe, gleitet stets frohgemut in ihren Tag. Zwangsläufig gleite ich mit. Manchmal leider recht nachhaltig. Wenn im heiter-besinnlichen Umfeld von „Hör mal 'n beten to“ oder „Kirchenleute heute“ die Schlagerzombies der 70er aus der Äthergruft steigen, stimmt die Gefährtin regelmäßig nostalgisch-beschwingt mit ein. Was dazu führt, dass für den Rest des Tages ein nicht unerhebliches Refrainpotential aus den Tiefen meines Unterbewusstseins der Oberfläche seines Benutzers entgegenbrodelt. Ich gebe mir alle erdenkliche Mühe, die ungerufenen Geister nachhaltig zu bannen. Denn dem Phänomen Ohrwurm ist offenbar eine weitgehende Ausblendung des dem Titel folgenden Textes inhärent. Dafür muss man einerseits dankbar sein. Andererseits hat dieser Umstand zur Folge, dass sich einem „Duhuhu, du allein kannst mich verstehen“ als Endlosschleife durchs Hirn windet, was – zumindest in mir – nach der sechsunddreissigsten Wiederkehr eine ungesunde Kombination von mentaler Ertaubung und hilfloser Erbitterung hervorruft. Abhilfe gibt es nicht. Bisweilen gelingt es mir jedoch, durch Aufbietung meiner gesamten Willenskraft den einen durch einen noch blöderen Refrain zu verdrängen. „Heute hau'n wir auf die Pauke“ oder „Mohikana Schalali“ bedürfen allerdings einer gewissen Lautstärke, um die gewünschte Wirkung zu erzielen und sind mithin nicht in jedem Arbeitsumfeld anwendbar. Eine befreiende Spannungsabfuhr stellt sich aber denn doch ein, wenn ich abends am heimischen Herd mit Peter Orloffs unvergesslichem Stampfe-Beat-Opus „Ein Rassegirl, ein Klassegirl ist Monika“ der Gefährtin nachhaltigen Verdruss erregen kann.
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