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Archiv-Artikel

Sandino ayer, Sandino hoy, Sandino siempre

Ein wunderbarer Bildband erinnert an die Revolution und die 80er-Jahre in Nicaragua

Ein solches Buch war lange überfällig. Der von Otker Bujard und Ulrich Wirper herausgegebene Bildband „Die Revolution ist ein Buch und ein freier Mensch“ ist eine Fundgrube der Erinnerungen für all jene, die sich in den 80er-Jahren mit der nicaraguanischen Revolution solidarisierten. „Nicaragua“, das war zwischen dem Sieg des Volksaufstandes über die Somoza-Diktatur 1979 bis zur Wahlniederlage der Sandinistischen Befreiungsfront 1990 fast weltweit ein Code – für eine große Hoffnung, für einen neuen Weg, ja für die gerechte Sache schlechthin.

Die sandinistische Revolution galt als links, aber nicht realsozialistisch, militant, aber nicht militaristisch, radikal, aber nicht dogmatisch. Die Comandantes der Revolution waren jung, die Minister waren Befreiungstheologen und Dichter wie Ernesto Cardenal oder Sergio Ramírez. Nicaragua war etwas Neues von ungeheuerlicher Attraktivität.

Allein aus der damaligen Bundesrepublik reisten nach groben Schätzungen zwischen 1982/83 und 1990 mindestens 15.000 zumeist junge Menschen nach Nicaragua, um in Brigaden bei Kaffeeernte oder Hausbau ihre Solidarität zu zeigen, Projekte zu fördern und Teil des großen Ganzen zu werden.

Die weit über 400 Plakate aus dem revolutionären Nicaragua und der weltweiten Solidaritätsbewegung, die Wirper und Bujard für dieses wunderbar gestaltete Buch in den Archiven entdeckten, lassen wiederaufleben, welchen selbst gestellten Aufgaben die Revolution damals ihren Enthusiasmus widmete, von der Alphabetisierung über die neue Kulturpolitik bis zur Agrarreform.

Aber die eindeutigen Botschaften der nicaraguanischen Plakate dokumentieren letztlich auch, woran die Revolution zerbrach – im blutiger werdenden Krieg zwischen „Vaterland“ und „Revolution“ auf der einen und „Imperialismus“ auf der anderen Seite blieb kein Platz mehr für Zwischentöne. Die Losungen des revolutionären Aufbaus aus den ersten Revolutionsjahren nach 1979 wichen denen des Durchhaltens aus ihren letzten Jahren vor der Wahlniederlage der Sandinisten unter Daniel Ortega im Februar 1990.

Mit großer Mühe haben die Herausgeber versucht, rund um die Plakate einordnende und erläuternde Texte zu stellen, zumeist von NicaraguanerInnen, die selbst in irgendeiner Funktion dabei waren. Rund um ganze Serien von Plakaten der sandinistischen Frauenorganisation AMNLAE etwa, von denen nicht wenige die Unterstützung der – männlichen – Frontkämpfer zur wichtigsten Aufgabe der nicaraguanischen Frauen und Mütter erklären, beschreibt die Journalistin Sofía Montenegro, wie trotzdem aus diesen Wurzeln die unabhängige Frauenbewegung entstehen konnte, von der die Schriftstellerin Gioconda Belli kürzlich im taz-Interview sagte, sie sei das wichtigste Erbe der Revolution.

Lediglich der letzte Abschnitt des Buches über die internationale Solidarität wird ausschließlich von Deutschen geschrieben. Barbara Lucas und Klaus Heß, Urgesteine des Wuppertaler Informationsbüros Nicaragua, lassen das rasche Anwachsen der bundesdeutschen Solidaritätsbewegung auf zeitweise über 350 Komitees und Vereine Revue passieren, die Streite der Bewegung, die Enttäuschungen, die Projektionen der eigenen politischen Unzulänglichkeiten auf ein fernes Land.

Erika Harzer, heute freie Journalistin und Filmemacherin, hat sich getraut, aus Briefen von ihrer ersten – langen – Nicaraguareise an ihr autonomes Kollektiv in Berlin-Kreuzberg zu zitieren; ebenfalls wunderbare Dokumente jener Zeit. Sie kontert die Aufzeichnungen von damals mit Betrachtungen von heute, hat einige der NicaraguanerInnen wieder besucht, mit denen sie damals gelebt und gearbeitet hat. Harzer schließt: „Ich gehöre zu der Generation, die das Glück hatte, über Jahre intensiv an diesem Prozess teilhaben zu können, der es wert war, erkämpft und verteidigt zu werden.“

Das ist ein Gefühl, das die AutorInnen eint. Hans-Christian Boese, heute erfolgreicher Geschäftsführer in der Filmbranche, bei seinem ersten Nicaragua-Aufenthalt 19-jähriger Abiturient, schreibt: „Die Erfahrung des freien Nicaragua bleibt, in ihrer ganzen Vielfalt und Widersprüchlichkeit, indem wir auf ihr bestehen. Die elf Jahre der sandinistischen Revolution, an deren Ende eine Niederlage stand, sind eine einmalige, im Kern glückliche Erfahrung.“

Diese Erfahrung in der eindrucksvollen, drastischen, mitunter unfreiwillig komischen Sprache der Plakate zu dokumentieren, ist den Herausgebern des Bildbands gelungen. Eine spanischsprachige Ausgabe, die in Nicaragua erscheinen soll, ist in Vorbereitung.

BERND PICKERT

Otker Bujard/Ulrich Wirper (Hg.): „Die Revolution ist ein Buch und ein freier Mensch. Die politischen Plakate des befreiten Nicaragua“. PapyRossa Verlag, Köln 2007, 384 Seiten, ca. 500 farbige Abbildungen, 36 Euro