Sammelstelle für Gefangene: In der Zelle werden Neonazis kleinlaut
Hinter dem schmiedeeisernen Tor der Gefangenensammelstelle in Berlin-Moabit wird es ernst: Wer hier am 1. Mai landet, kann sich schnell vor dem Haftrichter wiederfinden.
BERLIN dpa/taz | In der Sammelzelle in Berlin-Moabit stehen sechs Doppelbetten nebeneinander, statt Matratzen gibt es Holzbretter. Die Wände sind in hellem Beige frisch gestrichen, die Gitter haben die gleiche Farbe. In dieser Zelle werden die härtesten Jungs mit Glatzkopf, Militärhose und Ganzkörper-Tätowierung am 1. Mai kleinlaut.
"Ein paar fangen noch an zu rufen, aber das ist es dann meist auch", sagt Polizist Udo Rosentreter. Wie ein Fels in der Brandung koordiniert er fast alles, was mit Festnahmen am 1. Mai in Berlin zu tun hat. Eine Stunde später sind viele Zellen belegt.
In Rosentreters Quartier in der Moabiter Kruppstraße 15 geschieht all das, was im Fernsehen nicht mehr zu sehen ist: Festgenommene werden fotografiert, durchsucht und dann in die beigen Sammelzellen gebracht. Ist Alkohol im Spiel, gibt es vorher einen Bluttest. Wiegt ein Verdacht schwer, müssen Fingerabdrücke her. Es kann laut und unangenehm werden bei dieser Prozedur, einige Polizisten tragen Schutzkleidung. Sie sehen aus wie Sylvester Stallone als Judge Dredd.
Zeugen der 1.-Mai-Straftaten sind oft Polizisten. In der Kruppstraße geben sie bei der Kripo sofort zu Protokoll, was sie gesehen haben: Steinwürfe, Molotowcocktails, Gewaltattacken. Mehr als eine Stunde dauert es oft, bis jeder Fall detailliert im Computer erfasst ist, auch für mögliche spätere Gerichtsverhandlungen. Staatsanwalt und Richter entscheiden danach, was mit den Verdächtigen passiert. "Bei einem Drittel wird ein Haftbefehl geprüft, ein Drittel bleibt bis zum nächsten Tag im Polizeigewahrsam und ein Drittel geht nach Hause", sagt Rosentreter aus Erfahrung.
300 Kollegen sind in dem Backsteinbau aus preußischen Zeiten im Einsatz. Es wird stickig auf den Etagen. Alle paar Sekunden steckt jemand den Kopf in Udo Rosentreters Dachgeschoss-Zentrale. Wohin mit dem Klappmesser als Beweisstück? Rosentreter bräuchte zehn Arme, um alle klingelnden Telefone zu bedienen. Wie viele Festgenommene? Gibt es genug Transporter? Alles vom Hof, was rollen kann. Über der Tür hängt ein Monitor, der Live-Bilder aus den Polizeihubschraubern zeigt, auf drei Bildschirmen blinken Tabellen mit Straftäter-Daten. Gegen den Stress gibt es Kuchen und Gummibärchen. In einen Telefonhörer flüstert Rosentreter: "Geht grad' nicht, Mäuschen."
Mehr als 200 Skinheads sind auf der Rechten-Demo festgenommen worden. "Ich will nur die Straftäter und die Rädelsführer, alle anderen nicht", betont Rosentreter am Telefon. Es nutzt nichts. Die Kruppstraße bekommt 100 rechte Glatzköpfe zugewiesen, auch Fußvolk. Es muss eben gehen. Es könnten 500 Fälle werden am Ende der Nacht.
Es ist lange her, dass Rosentreter beim 1. Mai an Tanz und Vergnügen dachte. Seit Januar hat er sich auf seinen Einsatz vorbereitet, der offiziell "kriminalpolizeiliche Maßnahme" und "zentrale Beurteilung" heißt. Doch viele sagen einfach Gefangenensammelstelle. Das trifft es besser. Es ist fast jedes Jahr das gleiche Bild. Frust? Rosentreter schüttelt den Kopf. "Wir sind Polizisten und damit vertraut."
"Die in Gewahrsam Genommenen haben keine Möglichkeit zu telefonieren, können mit ihren Anwälten keinen Kontakt aufnehmen. Das ist ein Skandal", sagt Dietmar Sasse. Er ist einer der Anwälte, die sich vor dem Backsteinbau einen Klapptisch aufgestellt haben, weil ihnen kein Büro zur Verfügung gestellt wurde. Die Polizei habe ihnen deshalb Gewalt angedroht, später aber eingelenkt. Die Anwälte klagen zudem über zu wenige Richter. Sie nennen die Zustände in den Zellen "menschenunwürdig".
Die Polizei bleibt gelassen. Natürlich dürften Festgenommene ihre Anwälte anrufen, sagt Rosentreters Kollegin. Es könne nur manchmal eine Weile dauern - bei großem Andrang in der Kruppstraße. "Wir bekommen auch keinerlei Kontakt zu den beiden Richtern, die über den Gewahrsam entscheiden und haben so keine Möglichkeit, unsere Anträge zu übergeben", klagt Sasse weiter.
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