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Sackpfeife, Cornamuse und Dultian

■ Orwitzel im „tik“: Musik der Spielleute aus Mittelalter und Renaissance - Possenspiel und Gaukelkunst ergötzten den Rezensenten mit ihrem vielfältigen Blasen auf Flöten

Der traditionelle Blaue Montag mit Liedern im „tik“ (Theater im Keller) im Ernst-Waldau-Theater wird bis Ende des Monats von der Bremer Gruppe Orwitzel bestritten. Das Ensemble des Theaters war in der Vorweihnachtszeit so belastet, daß nicht genügend Zeit für Proben blieb zum vorgesehenen eigenen Programm blieb - ein Liederabend unter dem Titel „Wa(h)re Freundschaft“.

Obwohl also aus der Not geboren, ist das Gastspiel von Orwitzel doch nicht als Notlösung zu betrachten. Es ist durchaus vollwertig. Das Programm - Musik der Spielleute aus Mittelalter und Renaissance, Possenspiel und Gaukelkunst verspricht nicht zu viel. Die nur drei Spielleute überraschen mit einer unglaublichen Vielfalt an Instrumenten, die durchweg virtuos gespielt werden.

Aus drei verschieden großen Körben, aus den Falten der Kleidung und aus dem Nebenzimmer werden immer neue Instrumente hervor-und herbeigezaubert - abgesehen von den drei großen, die in keinem Behältnis Platz hätten. Die Zahl ist weder zu ermitteln noch zu erfahren: Die Spielleute haben selbst keine Ahnung, wieviele ihrer mehreren Dutzend Instrumente sie dabeihaben und benutzen.

Das Publikum soll zurückversetzt werden in die Zeit der mittelalterlichen Märkte..., verspricht

das Programm. Das gelingt nicht zuletzt durch die sorgfältige Auswahl der Kleidung und den Gebrauch der Sprache: „Euer unrhythmisches Handgeklapper“ wird der Beifall geheißen. Und jenes Trinklied stammt „aus italienisch Landen“, dieses Minnelied aus „Engelland“. Während die Männer ihre Schnabelschuhe zu bunten Gewändern tragen, ist Johanna von Drachenfels, das „Flötenspielwib“, schlicht in zweifarbig Linnen gekleidet.

Flöten spielen sie alle drei - wenn es auch Johannas spezielles Metier zu sein scheint -, und zwar eine verwirrende Vielzahl verschiedenster Flöten, von der Piccoloflöte über Krummhörner bis hin zu mannshohen Rauschpfeifen. Gert Vreudenrich („wir tun auf keines Weibes Treue schwören, tät sie erst seine Stimme hören“) tut sich, außer im Singen, hervor in der Begleitung von Johanna auf dem Streichpsalter.

Besondere Aufmerksamkeit des Publikums findet Johannes Fogelfrei („wenn Dudelsack und Leier dröhnt, sein Publikum vor Freude stöhnt“). Die Drehleier ist ein kompliziertes Instrument von recht eigenartigem Wohlklang. Es muß ständig gestimmt werden und soll dann so süß klingen, daß die Diabetiker unter den Zuhörern sich die Ohren zuhalten müßten.

Obwohl kein einziges Blechin

strument dabei ist, wird vielfältiger geblasen als etwa nur auf Flöten. Der eine trägt ein Horn am Gürtel, aber es ist nur ein gewöhnliches Trinkhorn, während die der beiden anderen als Gemshörner sich herausstellen, aus denen gar liebliche Töne herausgelockt werden.

Sackpfeifen, Cornamuse, Schalmeien und Dultian sind noch zu nennen, sowie die Rhythmusinstrumente Trommeln, Scheitholz, Rasseln und Klappern. Und wenn zum Schluß ein echter schottischer Dudelsack (wohl zu unterscheiden von alten Sackpfeifen) erklingt, dann ist es auch eine original schottische Melodie - so exakt gespielt, daß einem der Takt wider Willen in den Beinen zuckt.

Gaukelei und Possenspiel, wie angekündigt, kommen ebenfalls nicht zu kurz. Aber wir wollen nicht zu viel davon verraten

-nur eins: daß der Zuschauer rote Ohren bekommt, der, vom Gaukler um eine „Drachenzunge“ gebeten, in hilfreicher Absicht sein Feuerzeug hergibt: „Es gehet nicht. Da muß wohl erst diese Formel aufgesagt werden.“ Und er liest vor: „Peter's Sex-Shop.“

Gut besucht war die Vorstellung am Montag, und das wünschen wir Orwitzel auch für die nächsten und letzten Vorstellungen: am 16., 23. und 30. Januar, jeweils um 20.30 Uhr.

Berni Kelb

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