: STEINERWEICHEN
■ „Theater im Zimmer“ zeigt „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“
In seinem „Gespräch im Hause Stein...“ hat Peter Hacks den geehrten Genius Goethe mit gebührender Respektlosigkeit auf den Menschen heruntergebracht, den Rüpel oder Egoisten, die Memme oder den Solipsisten (Vertreter des Solipsismus; S., erkenntnistheoretischer Standpunkt, der nur das eigene Ich mit seinen Bewußtseinsinhalten als das einzig Wirkliche gelten läßt und alle anderen Ichs mit der ganzen Außenwelt nur als dessen Vorstellungen annimmt, d. säzzer & Konrad D.), ja, er schont nicht des Geheimrats geheimes Sexualleben. Bedürfen wir denn heute noch eines solchen Denkmalsturzes? Erleben wir ihn auf der Bühne nicht schon zu oft, wenn gerade arrivierte Theater in der Annäherung an einen Klassiker vor dessen moralischer Idealität oder romantischem Liebesüberschwang die Flucht ergreifen und den sicheren Hafen ansteuern, indem sie sich an des modernen Bürgers erhabenster Erleuchtung orientieren, dem nunmehr gesicherten, gleichwohl geheiligten Sexus?
So einfach macht es sich Hacks nicht. Er macht uns mit dem Geheimnis des männlichen Genius bekannt, der liebenden oder Liebe fordernden Frau, die den Dichter inspiriert, der dann nur noch aufschreibt. Dieser Goethe, so erzählt Frau von Stein, geht sogar soweit, für das von ihren Küssen erzeugte Kunstwerk neue Küsse zu heischen. Liebt er denn, fühlt er überhaupt wirklich? In der Geschichte dieser zehnjährigen verzehrenden Liebe weiß Frau von Stein viel von diesem merkwürdigen Spiel zu berichten, in dem die Verweigerung lockt, Zuneigung abstößt, Anbetung der Geliebten nur Eigenliebe zu bergen scheint, dem steten Verfehlen, das schließlich doch Liebe ist.
Man kann sich vorstellen, daß Hacks Charlotte von Stein ihrem Bericht über den launischen Liebhaber, dem Nachempfinden ihrer selbst in dieser wechselhaften Beziehung einen vielgestaltigen Ausdruck gibt. Umso mehr müßte ihre Darstellerin mit ihrem Erleben, ihrer Vision die Bühne erfüllen. Eine schwierige Aufgabe für die Schauspielerin, doch die liegt nun mal im Wesen des Monodrams.
Monica Gruber sitzt, steht, geht, als wüßte sie für keines einen besonderen Grund. Gleichförmig entrinnen ihr die Sätze. Erst gegen Ende kommt ein Hauch von Schauspiel, von wahrhaftem Gefühlsausdruck auf. Da hat wohl auch die Regie, von dumpfer Ahnung beseelt, die Aufmerksamkeit des Publikums nicht fesseln zu können, Zuflucht zum kurzen schnellen Spiel genommen. Regisseur Nikolaus Timm setzt sich selbst auf die Bühne, in der Rolle des schweigenden Herrn von Stein, den Peter Hacks als Puppe konzipierte. Hacks wußte wohl, daß das Monodram ganz auf die Präsenz der Schauspielerin angelegt ist, eine unnütze Person auf der Bühne ihre Entfaltung im Raum behindert und sich in ihre Spannung zum Publikum mengt. Wußte Nikolaus Timm das nicht oder traute er selbst seiner Darstellerin diese Präsenz nicht zu?
glagla
Das „Theater im Zimmer“ zeigt „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“: 23.-26. März, 9.-12. und 26.-30. April, jeweils um 20 Uhr im „Atelier Internationale Kunst“, Dahlmannstraße 11, 1-12.
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