SPD nach der Bundestagswahl: Die neue Harmonie der Sozis
Die SPD-Fraktion ist jünger und diverser als je zuvor. Und auch die SPD-Linke sehnt sich nach der Ampel. Doch so schnell wird es nicht gehen.
Schäfer, 69, schwärmt geradezu von Scholz, der jetzt nicht nur die SPD-Forderungen wie den Mindestlohn aufzähle, sondern „eine Zukunftserzählung“ für die Ampel im Blick habe. Scholz biegt da zufällig ein paar Meter hinter Schäfer mit schwarzer Maske aus dem Aufzug in den Plenarsaal ein.
Einen Meter weiter werden Neulinge in der Fraktion vor TV-Kameras interviewt. Alle interessieren sich für die 49 Jusos, ein Viertel der SPD-Fraktion. Sie haben schon mal ein gemeinsames Foto von sich auf der Treppe vor dem Reichstag publiziert. Die Botschaft: Mit uns ist zu rechnen. So viele Jusos gab es noch nie im Parlament.
Eine neue Abgeordnete macht in der Ecke ein kurzes Video für Instagram. Es gibt Neues zu berichten: Sie hat einen Laptop bekommen. Ein altgedienter Abgeordneter aus NRW meint, man müsse sich erst mal kennenlernen. Die einflussreiche Landesgruppe NRW hat 49 Mitglieder, 20 sind neu. So jung und ethnisch divers war noch keine SPD-Bundestagsfraktion.
Empfohlener externer Inhalt
Die Stimmung ist blendend. SPD-Linke loben Scholz, Scholz lobt den SPD-Linken und Fraktionschef Rolf Mützenich (62) als „ganz tollen Mann“. Die Fraktion wählt Mützenich am Mittwoch mit 97 Prozent wieder zum ihren Chef. Harmonie überall. Scholz hätte, wenn er auf Nummer sicher hätte gehen wollen, den Job für sich reklamiert. Falls er nicht Kanzler wird, ist Fraktionschef der einflussreichste Posten. Das hat Scholz nicht getan. Dann hätte der eiserne Glaube der SPD, dass er Kanzler wird, einen deutlichen Riss bekommen.
Es gibt Gerüchte, dass Mützenich Bundestagspräsident wird. Er ist von Union bis Linkspartei anerkannt und wird allseits für seine Freundlichkeit gelobt. Der Bundestagspräsident wird in der ersten Sitzung des neuen Bundestages gewählt – voraussichtlich am 26. Oktober. In vier Wochen kann viel passieren.
Die SPD macht, nach anfänglichem Zögern, jetzt Tempo. Die Ampel soll, wenn es nach der SPD geht, am besten schon vor dem 24. Oktober beschlossen sein. Zu dem Gerücht, dass er Bundestagspräsident werden könnte, sagte Mützenich am Mittwoch vieldeutig: „Wenn es eine Wertschätzung ist, dass ich da genannt werde, freut mich das.“
Mützenich ist Außenpolitiker – und hat die Fraktion sanft, aber bestimmt auf einen eher linken außenpolitischen Kurs geführt und solides Machtbewusstsein gezeigt. Er ist links, pragmatisch, höflich – und entspricht damit dem Anforderungsprofil für einen SPD-Fraktionschef in einer Ampel-Regierung.
Nach dem Untergang von Rot-Grün-Rot erscheint auch überzeugten SPD-Linken die Ampel mit Glorienschein. Schäfer hält sie für „eine historische Zäsur wie 1969 und 1998“, Rolf Mützenich für „eine Fortschrittskoalition“. Auch die rhetorischen Scharmützel Richtung FDP – Kevin Kühnert hatte Christian Lindner einen „Luftikus“ genannt – werden jetzt enden. Sie waren noch Echowellen des Wahlkampfes. Aber gleichzeitig angreifen und umarmen ist ja schwierig.
Die Euphorie in der SPD wird sich legen, wenn klar ist, dass Lindner Finanzminister oder der Soli ganz abgeschafft wird – eine 10-Milliarden-Steuersenkung genau für die oberen 5 Prozent, die die SPD eigentlich belasten will.
Die sechsköpfige SPD-Gruppe (Olaf Scholz und die Parteispitze, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Generalsekretär Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Mainz) wird sich mit Grünen und FDP treffen, muss sich in der Schlange aber erst mal hinten anstellen. Denn FDP und Grüne tagen am Freitag noch mal. Für Samstag sind dann offenbar Treffen von FDP und Grünen mit der Union anvisiert.
Die SPD wird sich am Sonntag nacheinander mit FDP und Grünen treffen. Terminfragen sind in der Politik Machtfragen. Lars Klingbeil versucht den Ball flach zu halten. Es sei nicht wichtig „wer zuerst miteinander redet, sondern wer am Ende den Koalitionsvertrag unterschreibt“. Das Fingerhakeln hat begonnen. Es macht nicht den Eindruck, dass es so schnell enden wird, wie die SPD hofft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz