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SPD-Politiker im Visier der DDR-Staatssicherheit

SPD-Mann Beucher sollte zum Stasi-Spitzel aufgebaut werden/ Jürgen Schmude wurde aus der DDR abgehört  ■ Aus Bonn Thomas Scheuer

Wie einen die politische Vergangenheit per Stasi- Akte einholen kann, resümierte der SPD-Bundestagsabgeordnete Friedhelm Julius Beucher, als er am Donnerstag in Bonn Journalisten das über ihn beim ehemaligen DDR-Geheimdienst angelegte Dossier vorlegte. Ausgerechnet unter dem Decknamen „Alexander“ hatte ihn die Bezirksverwaltung Leipzig des Ministeriums für Staatssicherheit in den Jahren 1971/72 als Inofiziellen Mitarbeiter (IM) geführt. Heute, 20 Jahre später, versucht Beucher als Mitglied des Schalck-Ausschusses die Machenschaften des Alexander Schalck-Golodkowski aufzuklären. Schalcks Führungsoffizier war lange Jahre Oberst Hans Fruck, Vizechef der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA). Auf dessen Schreibtisch, so geht aus Beuchers Akte hervor, landeten seinerzeit auch die Berichte über IM „Alexander“.

Als Asta-Chef der Pädagogischen Hochschule Rheinland und Funktionär des Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB) reiste der Jung- Sozi in den Jahren 1971/72 wiederholt in die DDR. Dabei machten sich als Wissenschaftler getarnte Mitarbeiter der Staatssicherheit an Beucher heran. Beucher galt Mielkes Mannen „operativ interessant als Student“. Die HVA plante, ihn langfristig zum Spitzel für SPD-Interna aufzubauen.

Er habe sich, räumt Beucher unumwunden ein, mehrmals mit den vermeintlichen Wissenschaftlern zu Gesprächen getroffen, ihnen auf deren Wunsch auch öffentlich zugängliches Informationsmaterial, etwa Asta-Infos oder SPD-Broschüren zum Thema Berufsverbot, mitgebracht. Solche Kontakte seien für ihn normal und politisch gewollt gewesen. Schließlich seien er und seine Genossen in jener Zeit für die Ratifizierung der Ostverträge auf die Straße gegangen, hätten ständig die Begegnung zwischen Bürgern beider deutscher Staaten proklamiert. Daß unter seinen Gesprächspartnern Stasi-Leute waren, habe er nie bemerkt, erklärte Beucher gestern. Das MfS habe ihn seinerzeit ohne sein Wissen als IM geführt; Geld habe er nie erhalten. Weil ihm die zunehmende „Geheimniskrämerei“ seiner Gegenüber bald auf die Nerven gegangen sei, habe er allerdings diese Kontakte im Juli 1972 von sich aus abgebrochen.

Heute fühle er sich „ausgenutzt und aufs Kreuz gelegt“, daß DDR-Stellen die sozialdemokratische Entspannungspolitik derart pervertierten. Aus seinen Kontakten zu DDR-Vertretern hat Beucher offenbar nie einen Hehl gemacht, darüber im Gegenteil in Studentenkneipen und im Genossenkreis offen geplaudert. Nicht zuletzt wegen dieser „Offenheit seiner rheinischen Frohnatur“ (Beucher über Beucher) scheint er bei der Stasi denn auch als potentieller Geheimagent durchgefallen zu sein. In der „Abverfügung zur Archivierung“ seiner Akte wird „die Einstellung der Bearbeitung aufgrund Dekonspiration unserer Maßnahmen beim Feind“ festgehalten.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Peter Struck teilte gestern mit, daß die DDR-Militärspionage in den 70er Jahren den damaligen Innenstaatssekretär Jürgen Schmude (SPD) abgehört hat. Dies ergebe sich aus einer Karteieintragung, die die Gauck-Behörde gefunden hat. Es bestehe „kein Zweifel“, so Struck, „daß Schmude Opfer der DDR-Aufklärung“ war.

Jürgen Schmude, derzeit Präses der evangelischen Kirche, gehört ebenso wie Friedhelm Beucher zu jener Minderheit von 287 Bundestagsabgeordneten, die sich im Gegensatz zur Parlamentsmehrheit freiwillig von der Gauck-Behörde auf Kontakte zur Staatssicherheit überprüfen ließen.

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