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SPD — Ein Haufen organisierter Verwesung

■ “Lieber Klaus als Ilse“ — taz-Bremen vom 14.10.91

Den Abgang einer überforderten, aber prinzipientreuen Landesvorsitzenden, ein bißchen öffentliche Selbstkritik des Spitzenkandidaten — das war's dann auch schon. Eine inhaltliche, strukturelle und personelle Erneuerung der Bremer SPD ist weit und breit nicht in Sicht. Schon wieder regieren in den miefigen Ostvereinen — den ideologischen Friedhöfen der Partei — die gleichen Machtklüngel, die Familienclans und Seilschaften, die seit Jahren die hiesige Sozialdemokratie beherrschen.

Wiedereinmal ist die Bürgerschaftsfraktion mehrheitlich durchsetzt mit aalglatten, karrierehungrigen Opportunisten a la Manfred Fluß oder Andreas Lojewski, deren eigene politische Inhalte schon seit langem nicht mehr wahrnehmbar sind. Immer noch erweist sich der Landesvorstand als willfähiger Vasalle Wedemeiers. Kaum zu fassen ist, daß die Verhandlungskomission, die schließlich auch die wesentlichen Inhalte der Bremischen Politik für die kommenden Jahre bestimmen soll, von Wedemeier und Dittbrenner angeführt wird, den Hauptverantwortlichen für den Niedergang in den letzten sechs Jahren. Eine lebendige Diskussion über die Fehler in der Vergangenheit und den daraus resultierenden Konsequenzen findet in der SPD nirgendwo statt oder sie wird im Ansatz erstickt.(...) Die Partei ist — um es mit Rosa Luxemburg zu formulieren — nur noch ein Haufen organisierter Verwesung.(...)

Die Vergreisung bei den Funktionären ist bemerkenswert. Die Altergruppe der unter 38-jährigen ist in der immer noch größten Bürgerschaftsfraktion nicht vertreten. Manche Ortvereins-Vorstände haben ein Durchschnittsalter von über 50 Jahren.(...)

Rot-Grüne Träume sind mit dieser SPD gewiß nicht zu verwirklichen. Diejenigen, die glauben, daß von dieser Partei in der kommenden Legislaturperiode zukunftsweisende Impulse für die Bremische Politik ausgehen werden, irren sich gewaltig. Diese Partei wird für Monate, vielleicht für Jahre zu den erforderlichen neuen Positionsbestimmungen nicht in der Lage sein. Den Grünen — die es alleine nicht schaffen können — und der FDP fällt deshalb die Schlüsselrolle zur Erneuerung der Verhältnisse im Lande Bremen zu. Die Ampel-Koalition muß her — auch um Schlimmeres, sprich eine große Koalition, zu verhüten! Thomas Schlingmann — Mitglied der JUSO-Hochschulgruppen Bremen

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