■ RADIODAYS: SONNTAG
Zumindest den Susan-Sontag-Fans ist die moderne wie postmoderne Variante des Descartes'schen Credos vom Existenzbeweis des Ich mittels der Gedanken bekannt [alles klar, oder?, d. s-in]: Seitdem es der forschende Mensch geschafft hat, Gegenstände und Personen fotografisch aufs Papier zu bannen, gilt der allgemeine Glaube: „Ich bin sichtbar, also bin ich.“ Zwischen dieser Erkenntnis (oder Schein-Erkenntnis?) und dem asiatisch-rätselhaften Ausspruch des Video-Künstlers Nam Yun Paik „Best Master is invisible“ balanciert der philosophische Essay Was man nicht alles sieht, der heute um 12.00 Uhr beim SFB3 zu hören ist. Dabei flaniert der suchende Blick des Autors Lothar Stemwedel hintergründig amüsiert durch Alltags- und Lebenssituationen, die dem getrübten Auge des modernen Großstadtmenschen nur allzu oft entgehen und dennoch beim genauen Hinhören wieder einfallen. Vom universalen kindlichen Versteckspiel bis hin zum Reflex, das zu fotografieren, was man nicht sehen will, reichen die paradoxen Assoziationen dieses Essays, wobei das flanierende Erzähler-Ich aber niemals den absolut klaren Durchblick für sich beansprucht. Es reizt eben den Sehnerv.GeHa
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