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SOMNAMBOULEVARD — DAS MASOCHISTISCHE NICHTS Von Micky Remann

Es dampft. Es ist ziemlich dunkel hier. Lichtstreifen fallen einzig durch die Ritze um die Badezimmertür, bei der mich wundert, daß sie wie der Sarkophagdeckel aus einem altägyptischen Pyramidenfilm aussieht. Im Hintergrund düdelt eine CD mit Templehits from the King's Chamber, worauf ich in Richtung Sargdeckel rufe: „Tutanchamun! Bring uns die Handtücher!“ Die Tür knarrt. Tuti tritt mit einem Stapel Flauschtücher herein. Im hellen Licht von hinten angestrahlt, zeichnet sich seine Silhouette famos ab, auch hinsichtlich des Dampfes im unbeleuchteten Bad.

Er arbeitet hier nur aushilfsweise, sagt er, ansonsten schreibe er an einem Der Dampf der dunklen Decke betitelten Krimi, und das würde ein Bestseller mit einem Top-Thema, nämlich dem Masochismus des Nichts.

„Wie bitte?“, frage ich den in Leuchtdampf Gehüllten.

„Ja, ich habe im Lauf der Jahrtausende entdeckt, daß ein Masochist jemand ist, der gerne heiß duscht und deshalb kalt duscht. Der Masochist ist ein inverser Hedonist, der nichst so liebt, wie das Gegenteil dessen, was ihm Spaß macht. Nun zum Nichts. Wenn es sich selbst so lieben würde, wie es ist, müßte das Nichts in seiner Nichtshaftigkeit glücklich verweilen, und im ganzen Universum gäbe es eben nichts außer dem selbstverliebten Nichts. Aufgrund seiner masochistischen Veranlagung hat es dem Nichts aber gefallen, in sein glattes Gegenteil zu kollabieren. Das Nichts schoß ein Eigentor, schrie Aua! und heraus kam — Alles! Das Ergebnis ist bekannt: Es entstanden die Welt, der Dampf, die Psyche und das Badetuch. Alles, was ist, haben wir somit dem Spaß des Nichts am Masochismus zu verdanken. Wer auf die Existenz der Dinge Wert legt, für den gilt zwangsläufig der Satz: Nur ein masochistisches Nichts ist ein gutes Nichts. Denn ein nichtmasochistisches Nichts hätte keinen Grund, sich an der Selbstaufhebung im Alles zu ergötzen.“

„Aber wie willst du daraus einen Krimi machen?“, frage ich.

„Was“, sagt Tutanchamun und wedelt begeistert mit dem Handtuch durch den Dampf, „was gibt es Spannenderes als eine Verfolgungsjagd durchs Unsiversum, wo Nichts und Alles, eingekeilt zwischen Hedonismus und Masochismus, umeinanderwirbeln wie Räuber und Gendarm, dauernd irgendwelche Bumerangs werfend, die nach hinten losgehen? En passant wird mein Roman die Urfrage allen Seins auf eine Weise beantworten, die Einstein, Bibel und Big Bang überflüssig macht.“

„Wie lautet noch mal die Frage?“, hake ich begriffsstutzig nach.

„Sie lautet: Wie wird aus Nichts Etwas? Warum hat das kosmische Nichts sich entschlossen, Alles zu werden? Ich weiß es: Aus schierem, wonnigem Masochismus! Das werde ich in Der Dampf der dunklen Decke auch sehr detailliert beschreiben.“

Während die Tempelhits sachte verklingen, lösen sich Dampf, Bad und Sarg, der ganze Somnamboulevard, Tutanchamun, ich und das Nichts allesamt in Nichts auf. I like it!

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