: SEGELMENSCHEN
■ „Theater des achten Tages“ spielt „Wermut“ in der UFA-Fabrik
In der U-Bahn macht die Kirche auf sich aufmerksam: „Glauben ist was für Kinder und Alte, sagt mein Mann. - Und die dazwischen?“ Im Programm des „Theater des achten Tages“ steht: „In uns erwacht das Verlangen nach Glauben an das ewige Leben. Das Gold der Altäre, die Kraft der Gesänge erhöhen uns in unserem Schmerz, unserer Verzweiflung.“ Verzweiflung darüber, daß in den Nächten junge Menschen von Staatspolizisten zusammengetreten werden (1.Bild) oder darüber, daß den Polen das Reisen so schwer gemacht wird.
Eisenbahn fahren ist ein Grundmotiv in der Performance der Exilpolen (seit 1985, nachdem die polnische Regierung die Unterstützung für die 1964 gegründete Gruppe aufkündigte, lebt ein Teil des „Teatr Osmego Dnia“ in Italien). Performance bedeutet in „Wermut“ vor allem, daß es keine Chronologie der Szenen gibt, die irgendwann anfangen, um irgendwann aufzuhören. Im Innern eines von den Zuschauerreihen gebildeten U's lassen sie sich zu viert dicht aneinandergedrängt auf einer Holzkonsole durchschütteln. Auf deutsch sagte eine Frau, schwarz gekleidet: „Ich fahre wegen dem Tod.“ Die Anderen: „Ich fahre ans Meer mit diesem Schiff (hält ein Spielzeugschiff hoch) und schicke es mit einer Nachricht los.“ „Sie ließen mich auf Menschen schießen! Ich wußte nicht, daß ich scharfe Munition hatte“, verzweifelt ein junger Soldat. „Polen! Ich liebe es, durch Polen zu reisen. Auf der Wallfahrt, zum Wunder, zum Krankenhaus, zum Gefängnis.“ Die Choräle, eben noch glockenhell gesungen in feierlicher Prozession, kippen um in betrunkene Soldatengesänge zweier torkelnder sich Stützender.
Bilder von Stillstand und Ende - die Segel dreier Spielzeugschiffe werden rituell verbrannt (Segelmenschen, soll heißen Poesie und Widerstand) - wechseln sich ab mit Bildern der Rache: Die drei Könige tragen glühbirnbeleuchtete Weihnachtsbastelbögen und Spielzeugsterne; die Machthaber sitzen in Slapstickmanier über Polen zu Gericht: „In schmutzigem Bettzeug keimt schmutziges Denken... Pornografie, Prostitution - no parasan!“ Selber stecken behaarte Richterbeine in Röcken und werden von Mitrichtern betatscht (was immer das heißen mag). Die Mächtigen nagen in einer anderen Szene an den sauberen Knochen des Volkes. Im Schlußbild vermissen die Emigranten lautstark ihre Papiere. Begleitet von einem Cello am Rande des Irrsinns, in der Schwüle des Kinosaals, hat man doch immer den Eindruck, daß es der Gruppe ganz genau um etwas, um Politik geht, daß es Feinde, sinnlich erfahrene Repressionen gibt, die als Hintergrund das Stück wohltuend von dem unterscheiden, was zumeist hier als Kunstangriff gegen eine Beliebigkeit, in Beliebigkeit ausartet oder sich als inszenierter Masochismus nur selbst oft peinlich genug präsentiert.
Detlef Kuhlbrodt
UFA-Fabrik, 16.-26.8. täglich außer montags um 21.30 Uhr
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