: SCHIMPFWORT EXPERIMENTALFILM
■ Kanadische Kurzfilme im Eiszeit-Kino zur Vorurteilsbestätigung
SCHIMPFWORT EXPERIMENTALFILM
Kanadische Kurzfilme im Eiszeit-Kino zur
Vorurteilsbestätigung
Von je weiter einer kommt, desto interessanter scheint er zu sein. Jeder Furz eines Möchte-gern-Künstlers läßt sich im Ausland allemal als „exotisch“ und einzigartig verkaufen. Diesmal kommen die Kurzfilmer aus Montreal, Canada.
Das Genre des Experimentalfilms ist ein weites Feld, wo einerseits wirkliche Genies (soweit es sie überhaupt gibt) in aller Regel von desinteressiertem Publikum mit Nichtbeachtung oder Ausdrücken wie „unverständlich, elitär, Spinner“ gestraft werden, und wo sich andererseits hemmungslose Nichtskönner als verkannte Genies verkaufen können. Die kanadischen Kurzfilme aber bestätigen mal wieder alle Vorurteile gegenüber dem Experimentalfilm:
-nur weil einer die Kamera nicht ruhig halten kann (oder kein Stativ hatte), ist das noch keine Kunst,
-schnelle, bunte Bilder (möglichst aus dem Fernsehen abgefilmt) sagen noch lange nicht, daß Fernsehen schlecht (und die sich so präsentierende „Kritik“ gerechtfertigt) ist,
-ein alter Filmrest (die 30er Jahre in Jerusalem), den der „Filmemacher“ zufällig gefunden und am Tricktisch optisch verfremdet hat, sagt noch lange nichts über die Vergänglichkeit der Zeit (wie jener „Regisseur“ dreist behauptet), sondern wohl mehr über dessen Unfähigkeit, selbst so eine einfache Begebenheit sinnlich auf die Leinwand zu bringen.
Diese Filme sind nur dazu da, daß ein paar Jungs aus Montreal als „Filmemacher“ in der Welt herumreisen können und ihren Namen an möglichst vielen Orten auf der Leinwand sehen können (der Abspann ist manchmal genausolang wie der eigentliche Film, und jeder, der mal die Filmausrüstung mit ausgepackt hat, wird namentlich erwähnt.)
In „Ragged Clown“ redet ein langhaariger Hippie-Pisser eine halbe Stunde lang über seine friedens-politischen Weisheiten, was etwa genauso interessant ist wie das Gebell eines Straßenköters. „It's important for me to get attention“, sagt er: Ein egoistischer Scheißer, der sich weiß Gott wie wichtig fühlt und der sein Straßenmusiker -Dasein hoffentlich bald hinter sich hat. Gott hab ihn dann selig. Der Film ist von solch unerträglicher Dummheit, daß es nicht mal mehr Spaß macht, über diesen peacenick zu lachen.
In „If the jet planes bomb you down“ befragt der Regisseur ein paar Freunde nach ihrer Meinung (!), was sie davon halten, daß Kanada F-18-Bomber baut, die pro Stück 30 Mio. Dollar kosten. Die Antworten bewegen sich zwischen ungläubigem Staunen und schleimiger Betroffenheit (daß man doch dagegen was tun müßte!), oder sie setzen sich mit ihrem Kind vor die Kamera (was wohl heißen soll: Seht dieses arme Kind, es darf nicht sterben - aber warum sollen Kinder eigentlich nicht dran glauben, wenn ihre Eltern von so hartnäckiger Dummheit geschlagen sind?).
Wer Mitte der achtziger Jahre noch Filme über die Gefahr eines Atomkrieges macht, muß jemand sein, der entweder hoffnungslos allen Modebewegungen hinterherhinkt, oder jemand, der sich sein Gefühl der Größe, das ihm die Angst vor dem Atomkrieg gab, erhalten will. Jemand, der die Aufmerksamkeit auf unsere kleinen Wehwehchen lenken will - böses TV, Atomkrieg - und das in einer so privat -heimeligen Art tut, muß an monumentaler Selbstüberschätzung leiden: während in der wirklichen (Dritten) Welt die Massaker stattfinden, heult da jemand über das böse Fernsehen, das ihm nicht genug über den Atomkrieg erzähle.
Das ekelhafteste sind schließlich Filmchen, die sich mit dem Medium Fernsehen „kritisch“ auseinandersetzen wollen („Weird Woman, weird fantasy“). Die Möchte-gern-Künstler versuchen sich dann in Fernsehverarsche, das ist das Allerübelste, Subkultur von ihrer häßlichsten Seite: Spießer witzig verarschen. Nette, normale Fernsehbürger häßlich machen. Was Besseres sein. Den Durchblick haben. Kein Wort mehr dazu.Torsten Alisch
Von Donnerstag bis Samstag jeweils um 21 Uhr im Eiszeit -Kino.
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