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SCHEIBENGERICHT: NEUE PLATTEN KURZ BESPROCHEN VONDANIEL BAX Celia Cruz

Siempre Viviré (Epic / Sony)

Albita

Son (HipBop / Silvascreen)

Ein Stern auf dem „Walk of Fame“ in Hollywood trägt ihren Namen, und angeblich sogar ein ganzer Tag: der 25. Oktober wurde in San Francisco unlängst zum „Celia Cruz Day“ ernannt, was immer das heißen mag. Kein Witz aber ist: Celia Cruz trägt den Titel, wenn nicht die Krone der „Queen of Salsa“ – so konkurrenzlos wie der im vergangenen Jahr verstorbene Tito Puente der „King of Mambo“ war.

Mit ihrer Präsenz und ihrem Show-Talent greift die inzwischen 75-Jährige weit über den Kreis der eingeschworenen Salsa-Heads hinaus und konnte in den Staaten, wo sie seit ihrer Auswanderung aus Kuba vor vierzig Jahren lebt, ein breites Publikum für sich gewinnen. Trotzdem ist die Latin-Diva, die inzwischen auf mehr als 70 Alben zurückschauen kann und seit über 50 Jahren auf der Bühne steht, im allgemeinen Trubel um Ricky Martin und anderes junges Gemüse ein bisschen ins Hintertreffen geraten.

Das muss nicht sein, dachte sie (oder ihre Plattenfirma) vermutlich. Und so entschloss man sich, es im Fahrwasser des Latin-Pop-Booms mal mit einer musikalischen Rundumerneuerung zu versuchen. Dabei wird gleichwohl auf Bewährtes zurückgegriffen: So enthält „Siempre Viviré“ neben einem aufgepeppten „Oye Como Va“ auch eine originelle Salsa-Version des Silvesterparty-Evergreens „I Will Survive“. Solch kommerzielles Kalkül wirkt jedoch nicht störend oder bemüht. Denn Celia Cruz muss man nicht erst flott machen – sie ist ein unverwüstliches Salsa-Schlachtschiff, das lässig und souverän jede Klippe zu umschiffen in der Lage ist.

So viel Stehvermögen besitzt Albita offenbar noch nicht. Nachdem die Sängerin, ebenfalls aus Richtung Kuba kommend, sich 1993 in Miami unter die Fittiche von Emilio und Gloria Estefan begab, zeigte die Karrierekurve steil nach oben. Ein paar Monate lang wurde sie als der nächste große Star gehandelt, trat auf der Geburtstagsparty von Madonna auf und wurde mit ihrem letzten Album „Una Mujer Como Yo“ für einen Grammy nominiert – dann aber ausgerechnet vom Buena Vista Social Club ausgebootet.

Danach allerdings wurde es ziemlich ruhig um die einstige Hoffnungsträgerin, deren neues Album nun nicht mehr unter der Ägide des Estefan-Clans erscheint. Offenbar im Fahrwasser der Buena-Vista-Welle, geht es auf „Son“ nun etwas zurückhaltender zur Sache als noch auf dem Vorgänger. Statt vorwiegend auf überproduzierten Party-Sound zu bauen, verlegt sich Albita auf „Son“ teils auf traditionelle und klassischen Stücke und teils auf neue Kompositionen, die ganz in den Dienst von Albitas voluminöser Stimme treten. Doch hinter dem Willen zum Stil- und Imagewechsel kommt ihre Persönlichkeit ein wenig zu kurz.

Smadj

New Deal (Electric M.E.L.T. / EFA)

Mukta

Dancing on one’s hand (Warner France)

Neben London hält Paris derzeit die Stellung – als wichtigste Pop-Kapitale des Kontinents. Und als Melting Pot hat die Stadt derzeit sogar die Vorreiterrolle in Europa: Hier mischt sich, was anderswo in die Schubladen Jazz, Club-Elektronik oder Weltmusik unterteilt wird. Und wenn dann doch, wie etwa in London, neue musikalische Hybride erwachsen, dann zimmert man dort eben eine neue Schublade namens „Asian Underground“, die mit nachlassender Neugier wieder in eine dunkle Ecke geschoben wird.

Dass es auch anders geht, beweist der Erfolg von Smadj und Mukta in Frankreich. Der gelernte Tontechniker Jean-Pierre Smadja, in Tunesien geboren und in Paris aufgewachsen, speist marokkanische Gnawa-Rhythmen und indische Geigen in seine Loops und Breakbeats. In Pariser Clubs hatte er so lange mit Jazz-Gitarre und Oud, der arabischen Laute, über Drum-’n’-Bass-Kaskaden improvisiert, bis er dieses Prinzip auf seine Arbeit mit anderen Musikern im Studio übertrug. Dadurch, dass diese Fusion aus dem spontanen Zusammenspiel im Studio erwächst, klingt sie so kohärent wie komplex.

Seine Kollegen vom Nu-Jazz-Kollektiv Mukta dagegen bringen die Blue-Note-Ästhetik der 50er mit der Sitar-Psychedelik der 70er und dem Dancefloor der 90er zusammen. Die fünfköpfige Band hat sich im Laufe der Zeit eine beachtliche Reputation und eine gewisse Routine im stilistischen Weltenbummeln erspielt. Das erste Album trug noch den programmatischen Untertitel „Indian Sitar & World Jazz“. Doch schon auf „Jade“, ihrem zweiten Album, erweiterten sie dieses Spektrum um Congas und andere Latin-Percussion. Kurz nach dieser Veröffentlichung erscheint nun „Dancing on one’s hand“, die konsequente Fortentwicklung dieses Experiments: eine verspielte Jam-Session, bei der Produzent und Remixer Matthieu Ballet als sechster Mann im Studio zugange war, und eine entspannte Erkundung neuer Ufer.

Susana Baca

Eco de Sombras (Luaka Bop / Virgin)

Die afroperuanische Tradition ist wenig bekannt. Doch die Sängerin Susana Baca hat viel dafür getan, sie ins rechte Licht zu rücken. Nicht nur als Interpretin: Vor acht Jahren gründete sie in Lima mit ihrem Mann, dem Soziologen Ricardo Pereira, das Instituto Negro Continuo, um die vorwiegend mündlich vermittelte Geschichte des schwarzen Peru festzuhalten und weiterzuschreiben. Ihr Institut, wo auch das Studium von Tanz und Musik angeboten wird, ist das einzige seiner Art in der Andenrepublik. Denn anders als in anderen lateinamerikanischen Ländern stellen die Nachfahren der nach Südamerika verschleppten Sklaven nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung. Deren Kultur erfährt wenig Beachtung, ihre Pflege bleibt privater Initiative überlassen.

Auch das Interesse peruanischer, geschweige denn internationaler Plattenfirmen an dieser Musik hielt sich stark in Grenzen. Hätte David Byrne nicht Spanisch zu lernen begonnen und Susana Bacas Stimme auf einem Videotape seines Sprachlehrers gehört und für sich entdeckt, dann wäre sie wahrscheinlich nie über den Atlantik gelangt. So aber ist „Eco de Sombras“ („Das Echo der Schatten“) bereits Susana Bacas zweites Album bei Luaka Bop, der Plattenfirma des Ex-Talking Heads und Weltmusik-Schürfers.

Innerhalb von zwei Wochen in ihrem Haus an der Küste von Lima aufgenommen, klingt Susana Baca folglich auf „Eco de Sombras“ ganz bei sich, entspannt und konzentriert zugleich. Der Klang ist reinste Kammerfolklore, melancholisch und minimalistisch dahingezupft, mit Akustikgitarre und Bass und umbrandet von einer Percussion, die anmutige Wellen schlägt, vom Produzenten Craig Street (Cassandra Wilson, k.d.lang) in transparenten, leicht dissonant-jazzigen HiFi-Klang gegossen. Die getragenen Arrangements, irgendwo zwischen Fado und Kuba anzusiedeln, tröpfeln wie ätherisches Öl aus den Boxen.

Doch der historische Horror schleicht sich durch die Hintertür wieder herein: „Hier kommt der Sklavenhalter, mit der Peitsche in der Hand“, so lauten die Zeilen eines etwas anderen Weihnachtssongs. Schließlich ist in die alten Lieder die Geschichte der Sklaverei eingeschrieben. Und Weihnachtslieder adaptierten die Sklaven von einst, die von den Spaniern zwangschristianisiert wurden, in ihrem ganz eigenen Sinne.

Tonino Carotone

Mondo Difficile (Chewaka / Virgin)

Es ist eine komplizierte Welt. Tonino Carotone zum Beispiel ist gar kein Italiener, er tut nur so. Der Spanier liebt das Italienische. Aber immerhin ist er kein Streber-Yuppie, der Alessi-Tassen sammelt, Armani aufträgt und die Weinsorten der Toscana im Schlaf aufzusagen vermag. Ihm hat es eher der Trash-Aspekt alter Italo-Schlager angetan.

Im Proletenviertel von Pamplona aufgewachsen, wo der Musiker seine ersten Schritte auf der Bühne mit einer stadtbekannten Punk-Band unternahm, zog es ihn später nach Madrid und zuletzt nach Barcelona, wo ihm gelegentlich Manu Chao über den Weg läuft. Der stand ihm bei den Aufnahmen zu „Me Cago en el Amor“ zur Seite, dem ersten und besten Song der Platte. Auch der Rest von „Mondo Difficilie“ kann sich hören lassen, wenngleich das Album gelegentlich den Charakter einer Zirkus-Nummer annimmt. Tonino Carotone singt von der weiten Welt, von Amerika-Sehnsucht und Brasilien-Fantasien, vor allem aber vom Leben in der Bar, mit einer Stimme, die schon viele Tresen gesehen haben muss, und die Band wirft ihm die Musik dazu hinterher, so leiernd wie von einer abgenudelten Drehorgel. In den bastardisierten Chansons treffen sich Neapel und Mexiko, Kirmes-Klänge und Surf-Gitarren: Eine Pulp-Fiction-Fusion der romanischen Art.

Ob Tonino Carotone, der gerne speckige Nadelstreifen-Anzüge und einen breitkrempigen Hut trägt, eher ein mediterraner Guildo Horn ist oder doch ein Paolo Conte der Unterschichten, müssen andere beurteilen. In Italien selbst aber hat man die Parodie mit großem Vergnügen aufgenommen. Dort ist Tonino Carrotone inzwischen ein richtiger Held. So ist die Welt.

Melina Kana

Portrait (Network / Zweitausendeins)

Wenn Athen der Mainstream ist, dann ist Thessaloniki die Alternative. Die Neo-Folk-Szene der Stadt hat weit über deren Grenzen hinaus Anklang gefunden. Eine prominente Absolventin ist die Sängerin Melina Kana: Seit sie vor rund zehn Jahren zur Stimme der Stunde aufstieg, hat sich die einstige Philologiestudentin als Interpretin mit Anspruch etablieren können. Ihre Platten avancierten dabei stets zu Bestsellern. Und ganz nebenbei hat sie es dabei vermocht, im Verlauf ihrer musikalischen Entwicklung sukzessive auch die Grenzen griechischer Musik auszuweiten.

In ihren Stücken zeigt sie sich deutlich vom Vorbild des Rembetiko beeinflusst, der Musik der zu Beginn des Jahrhunderts aus Kleinasien geflüchteten Griechen. Das färbt ab, von der Lyrik – Liebe, Rausch und Zigaretten – bis auf das orientalisch gefärbte Percussionsspiel. Der Hang zum Osten zeigt sich exemplarisch auch auf dem Album „Portrait“, das einen Querschnitt ihres Schaffens hierzulande erstmals zugänglich macht: So ist eines der Stücke der libanesischen Sängerin Fairuz gewidmet, und drei andere Stücke entstammen ihrer Zusammenarbeit mit der Gruppe Ashkshabad aus Turkmenistan. Solche musikalischen Anknüpfungsversuche bieten sich an, liegen in Thessaloniki Orient und Balkan seit jeher besonders nahe – die Stadt fiel erst 1912, 90 Jahre nach Athen, vom Osmanischen Reich an das heutige Griechenland.

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