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Russlands Jugendliche und die Demokratie"Diese Wahl ist eine Farce"

Die Mehrheit der russischen Jugend unterstützt den autoritären Kurs des Kremls. Der Rest zieht sich in die Familie zurück, resigniert oder denkt an Emigration.

Russlands Jugend will lieber Spaß haben, statt sich Gedanken über den autoritären Charakter des Kreml-Regimes zu machen. Bild: dpa

MOSKAU taz Das Treffen findet auf neutralem Gebiet statt. "Neitralnaja territorija", so nennt sich das Cafe im Herzen Moskaus, wo Studenten, Intellektuelle und einfach Andersdenkende zum zwanglosen Plausch zusammenkommen. Wer allein ist, der kann dort in den neuesten Büchern aus Literatur, Politik und Philosophie schmökern, die im Eigenverlag erschienen sind und es garantiert nie zu Bestsellern schaffen werden. Es ist eine jener kleinen Gegenwelten zum Glamour der in Öldollars schwimmenden Hauptstadt. Unprätentiös und schwer zu finden. In einem düsteren Hinterhof gelegen, ist es nur einen Steinwurf von der wieder allmächtigen FSB Geheimdienstzentrale "Lubjanka" entfernt, auf der anderen Seite hat die Propagandazentrale des Kreml seit Jahrzehnten ihren Sitz.

Alina, Elena und Grigory sind Studenten an der Moskauer Staatlichen Universität (MGU) und können heute zum ersten Mal an einer Präsidentschaftswahl teilnehmen. Die drei Geschichtsstudenten stammen aus unterschiedlichen sozialen Milieus und sind politisch nicht in jeder Frage gleicher Meinung. Auch ihre Zukunftsentwürfe unterscheiden sich. In einem stimmen sie jedoch über ein: "Diese Wahl ist eine Farce", sagt die 21jährige Alina, die aus einer typischen Moskauer Intelligenzlerfamilie stammt. "Wer an der Bestätigung des vom Kreml vorbestimmen Kandidaten teilnimmt, hat keine Selbstachtung", meint sie. Selbstachtung sei etwas, was den Menschen in Russland immer wieder ausgetrieben werde.

Auch Grigory hält es nicht für zwingend, das Wahlrecht wahrzunehmen. Er arbeitet am Sonntag in einer Internet-Nachrichtenagentur und hätte eine gute Ausrede. Sollte er aber Zeit finden, würde er dem Zählkandidaten Andrej Bogdanow die Stimme geben. "Jeder weiss, dass er vom Kreml als demokratische Alternative aufgestellt wurde", meint er. "Die Kandidatur ist so absurd, dass ein Votum für ihn einer Proteststimme gleicht".

Elena hat es etwas schwieriger und kann sich nicht einfach vor der Wahl drücken. Ihr Vater ist ein hochrangiger Militär. "In diesen Kreisen gilt Teilnahme der gesamten Familie als Bürgerpflicht", sagt sie etwas unglücklich. Elena weiss noch nicht, was sie machen wird. "Aber ich stimme auf keinen Fall für Dmitrij Medwedjew". Die 20jährige empfindet den Druck, der auf die Wähler ausgeübt wird, als erniedrigend. "Meinem Vater geht es eigentlich genauso", sagt sie achselzuckend.

Die drei gehören zu einer Minderheit unter den Jugendlichen, die sich überhaupt mit Politik befassen. Drei bis vier Prozent der jungen Leute sind laut Umfragen politisch aktiv. Unter den Studenten mögen es ein paar mehr sein, sagt Grigory, die meisten der Kommilitonen seien aber Konformisten. Das sei auch verständlich. "Sobald du dich aus dem Fenster lehnst, wirst Du von der Maschine zermalmt". Die Mehrheit hielte daher still, wolle Geld verdienen und Karriere machen. Sie ziehen sich in die Familie und den Freundeskreis zurück.

"Viele verstehen oder ahnen zumindest, dass Russland mit diesem autoritären System nicht zu modernisieren ist und wir den Anschluss verpassen", fällt Alina Grigory heftig ins Wort. Die Kommilitonen schlössen die Augen, weil sie keinen Ausweg sähen. Die Perspektivlosigkeit, die Unmöglichkeit in grösseren Zeiträumen zu planen, bedrückt die drei. Sogar die jüngeren und aufgeklärten Professoren hätten resigniert, meinen sie. Den Wunsch über Politik zu diskutieren, wischten die Dozenten vom Tisch: Warum wollt ihr darüber reden, ihr seht doch, wo es hinläuft. Russland in zehn Jahren? "Die guten Profs sind pessimistisch", sagt Grigory. Wie die Hälfte seiner Freunde, die nach dem Studium emigrieren wollen. "Dabei sind ihre Eltern reich und haben Beziehungen. Sie wollen gehen, weil die Luft zum Atmen immer dünner wird".

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