Russland wechselt Verteidigungsminister: Nach ständiger Kritik
Putin setzt Verteidigungsminister Sergei Schoigu ab. Der neue Mann – Andrei Beloussow – steht für den Krieg als Basis russischer Wirtschaft.
Das erfolgte im Rahmen der Regierungsumbildung nach Putins Amtseinführung vor einer Woche. Sein Nachfolger soll der bisherige Vizeregierungschef Andrei Beloussow werden, ein Zivilist und Wirtschaftsexperte, der als Ideologe der Staatsökonomie gilt. Schoigu soll derweil Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats werden und dem Putin-Vertrauten Nikolai Patruschew nachfolgen, dabei weiterhin für Rüstungsfragen verantwortlich sein. Was aus Patruschew wird, ist noch nicht bekannt. Das Parlament muss die Entscheidungen noch bestätigen, das gilt allerdings als Formsache.
Die Absetzung ist überraschend, und sie ist es nicht. Überraschend ist sie deshalb, weil keiner derer, die in den vergangenen Wochen innerhalb und außerhalb Russlands Putins Personalpolitik vorherzusagen versucht hatten, Beloussows Aufstieg vorhergesehen hätte. Ein promovierter Ökonom, der nicht gedient hat – wie im Übrigen auch Schoigu nicht – und nie damit aufgefallen war, sich in Armeefragen auszukennen, wird plötzlich der Mann der Stunde. Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sprach von bewusster Entscheidung, die Armee in zivile Hände zu geben, um diese innovativer zu machen.
Der Schritt, den früheren Wirtschaftsberater Putins, der in den vergangenen gut vier Jahren Russlands Wirtschaftspolitik koordiniert hatte, zum Armeechef zu machen, zeigt, dass der Krieg in der Ukraine mittlerweile die Basis für die russische Wirtschaft ist. Der 65-jährige Beloussow soll das Ministerium offenbar effizienter machen und die Kosten an der Front optimieren. Für militärische Entscheidungen dürften weiterhin der Generalstabschef Waleri Gerassimow und Putin selbst zuständig sein.
Schoigu stand seit Kriegsbeginn ständig in der Kritik
Nicht unerwartet kommt die Absetzung, weil Schoigus Stuhl praktisch seit der Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 gewackelt hatte. Der bald 69-Jährige, der die Armee als modernen und effizienten Apparat verkauft hatte, lieferte nicht das, was Putin gehofft hatte: die Einnahme Kyjiws innerhalb von drei Tagen.
Schoigu stand ständig in der Kritik der Soldaten und der sogenannten Militärblogger. Jewgeni Prigoschin, der mittlerweile umgekommene Chef der Söldnertruppe Wagner, hatte ihn praktisch täglich angegriffen. Dessen verbal entgleisende Attacken hatte Schoigu genauso überlebt wie Prigoschins gescheiterte Rebellion im Juni 2023 und die Wechsel in der Generalität.
Aber dass ein Damoklesschwert über ihm schwebte, zeigte die Festnahme seines Stellvertreters Timur Iwanow vor drei Wochen. Wegen Korruption in Millionenhöhe sitzt Schoigus langjähriger Vertrauter in U-Haft. Das war auch ein Zeichen an Schoigu, der dem Militär über Jahre hinweg zum Ansehen in der russischen Gesellschaft verholfen hatte.
Schoigu stammt aus der ärmlichen Region Tuwa an der Grenze zur Mongolei. Von dort rekrutiert der Staat nun vielfach seine Soldaten für den Krieg in der Ukraine. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war der studierte Bauingenieur nach Moskau gekommen. Unter Jelzin wurde er Minister für Katastrophenschutz, ein nahbarer, wenn auch wortkarger Problemlöser. 2012 machte ihn Putin zu seinem Verteidigungsminister. Er war es, der für die Eroberung der ukrainischen Halbinsel Krim zuständig war und auch für die Intervention in Syrien ein Jahr später. Die einst rückständige Truppe wurde unter Schoigu zur hochgerüsteten schlagkräftigen Armee. Unter Schoigu verlor sie diesen Status auch wieder.
„Alles läuft nach Plan“, sagt Putin immer wieder gern. Sein Umbau im Verteidigungsministerium offenbart, dass der Plan nun ein anderer sein muss. Welcher, wird sich unter Beloussow zeigen. Der sagte bereits im ersten Kriegsjahr, dass die Gesellschaft sich endlich darüber bewusst werden müsse, dass alles den Nöten der „militärischen Spezialoperation“ unterliege.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen