Russische Medienzensur: Neue, alte KGB-Methoden
Um kritische Journalisten zum Schweigen zu bringen, greift Putins Russland wieder in die Trickkiste aus Sowjetzeiten. Zwei prominente Reporter leben seit Monaten im US-Exil.
"Ganz langsam bin ich gestorben, obwohl mir eigentlich nichts fehlte", sagt Fatima Tlisowa. Die Journalistin aus dem Kaukasus lebt seit März in den USA. Ihr amerikanischer Arbeitgeber, die Nachrichtenagentur Associated Press, drängte die 41-jährige Tscherkessin, Russland zu verlassen. Ihr Leben war in Gefahr. Tlisowa arbeitete für verschiedene russische Medien, darunter die Nowaja Gaseta, deren Tschetschenien-Korrespondentin Anna Politkowskaja im Herbst 2006 ermordet wurde.
Tlisowa kennt den Kaukasus besser als jeder andere. Von Naltschik aus, der Hauptstadt der Republik Kabardino-Balkarien, befasste sie sich ausschließlich mit Themen aus der Region. Sie spürte Korruptionsskandalen nach und stieß auf Beamte, die kostenloses Insulin einbehielten und den Zuckerkranken gegen horrendes Geld verkauften, sie deckte Verstrickungen der Sicherheitsbehörden in den Waffen- und Drogenhandel auf. Tlisowa schrieb über junge Muslime, die verhaftet, gefoltert und ermordet wurden, weil sie angeblich Extremisten seien. Der eigentliche Grund der Verfolgungen jedoch war: Die Republikführung wollte Moskau Präsenz im "Antiterrorkampf" demonstrieren und so mehr Geld lockermachen.
Drohungen von "oben" und auch den guten Rat von Kollegen schlug die zweifache Mutter aus dem Wind. Sie konnte nicht einfach über harmlosere Themen schreiben, obwohl sie rund um die Uhr überwacht und eingeschüchtert wurde. Auf einer gemeinsamen Recherche 2004 verschwand sie plötzlich für mehrere Stunden. Stunden später kam sie mit Brandmalen auf den Händen zurück. Der Geheimdienst hatte sie auf offener Straße in einen Wagen gezerrt und Zigarettenkippen auf den Fingern ausgedrückt. "Schreib nicht mehr so ein Zeug", warnten die Häscher. Sie sollte auch nicht mehr mit Journalisten aus dem Westen zusammenarbeiten. Russische Kollegen wurden ebenfalls unter Druck gesetzt, den Kontakt zu Tlisowa abzubrechen. Sie sei eine Agentin des türkischen Geheimdienstes, wurde ihnen gesagt.
All dies ist harmlos im Vergleich zu dem, was der Journalistin seit Herbst 2006 widerfuhr: Zunächst verschwand der 16-jährige Sohn, den sie nach einem Tag aus den Fängen betrunkener Milizionäre befreien konnte. Am 13. Oktober, vier Tage nach dem Mord an Anna Politkowskaja, fing ein Geheimdienstler Tlisowa vor der Wohnung ab: "Was hältst du von dem Mord? Wir finden ihn richtig. Du riskierst, dass deine Kinder auch Waisen werden." Kurz darauf, nach einem Ausflug, stand wieder mal die Haustür offen, sie war aufgebrochen worden und wie schon unzählige Male zuvor fehlte auch diesmal nichts. In der Nacht setzten die Kopfschmerzen ein, Körper und Zunge schwollen an. Die Schleimhaut löste sich und von der Hand ließ sich die Haut in Streifen abziehen. Die Untersuchung im Krankenhaus ergab: "Dysfunktion der Nieren und Veränderung des Blutbildes infolge von Intoxikation" - Vergiftung also. Kollegen holten sie nach Moskau. Nach längerer Beobachtung attestierte die dortige Klinik: "Ideale Nierentätigkeit wie bei einem Neugeborenen." Eine Ärztin, die ihr trotz Verbots der Klinikleitung Unterlagen zuspielte, wurde entlassen.
Gleiches wiederholte sich im Januar. Wieder musste Tlisowa mit ähnlichen Symptomen stationär behandelt werden, diesmal traten noch schwere Herzrhythmusstörungen auf. Ärzte in den USA konnten drei Monate später weder Vergiftungsspuren noch andere Ursachen feststellen. Sie sei kerngesund, bestätigten die Mediziner und unterstützten damit die Vermutung, dass sie vergiftet worden sein müsste. In den USA erhielt sie den Flüchtlingsstatus und ein journalistisches Stipendium.
2006 zeichnete die Henry Nannen Stiftung Tlisowa mit dem Bucerius-Preis für osteuropäische Journalisten aus. Den Geheimdienst im Kaukasus kümmerte dies wenig: Er verbot dem Regionalfernsehen sogar, darüber zu berichten. Tlisowa ließ ihre Eltern im Kaukasus zurück, deren Haus in einem abgelegenen Bergdorf wurde von Sicherheitsbeamten durchsucht.
Dass sie mit den Kindern in die USA ausreisen konnte, geht vermutlich auf die Intervention des Sonderbeauftragten Präsident Putins für Südrussland, Dmitrij Kosak, zurück. Zwei Mordfälle hintereinander, Politkowskaja und das Poloniumattentat auf den Exilrussen und Ex-Agenten Alexander Litwinenko im Herbst in London, hatten dem Image Russlands im Ausland bereits genug Schaden zugefügt.
Der Journalist Jurij Bagrow erhielt ebenfalls politisches Asyl in den USA. Der ehemalige Korrespondent des US-Auslandsenders Radio Liberty und AP-Mitarbeiter stand schon seit Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 auf der Abschussliste der Behörden. Damals berichtete Bagrow über die zivilen Opfer russischer Bombenangriffe und über Todesschwadronen, die offensichtlich Verbindungen zum russischen Geheimdienst FSB unterhielten.
Danach setzten auch für ihn massive Probleme ein. Bagrow wurde als Sohn einer russischen Offiziersfamilie in Georgien geboren. Erst nach dem Zerfall der UdSSR zog er zum Studium nach Russland - und musste noch einmal die russische Staatsbürgerschaft beantragen. Er bekam sie zunächst. Nach einer FSB-Razzia in seiner Wohnung war der Pass verschwunden. Plötzlich behaupteten die Behörden, Bagrow hätte sich die Staatsbürgerschaft widerrechtlich erschlichen. Er sollte ausgewiesen werden. Erst nach Intervention des US-Außenministeriums, des New Yorker Komitees zum Schutz von Journalisten und von Reporter ohne Grenzen sah man von diesen Plänen ab. Doch Bagrow erhielt weder einen Pass noch andere Papiere. In der Sicherheitszone des Kaukasus war damit journalistische Arbeit nicht mehr möglich - Methoden, mit denen der KGB schon zu Sowjetzeiten arbeitete.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag