Russische Drohungen mit Atomwaffen: Verhandlungen jetzt

Es muss alles dafür getan werden, um mit Putin ins Gespräch zu kommen. Solange der Diktator am roten Knopf sitzt, droht die größtmögliche Eskalation.

Standbild von Wladimir Putin aus einem vom Pressedienst des russischen Präsidenten veröffentlichten Video

Präsident und Despot: Wladimir Putin Foto: Foto: Russian Presidential Press Service/AP/dpa

Eins vorab, weil es wichtig ist: dies ist kein Putin-Versteher-Kommentar. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass er Putins Handeln für irgendwie angemessen oder gar entschuldbar hält. Was der russische Despot betreibt, ist ohne Wenn und Aber verwerflich. Der Angriff auf die Ukraine. Das Vernichten zehntausender Menschen dort, aber auch zehntausender Russ:innen, die er an der Front verheizt. Das Durchführen irrer Scheinreferenden in Donezk und Luhansk. Die erwartbare Annexion dieser Gebiete. Und nicht zuletzt die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen. Deshalb hat die Ukraine selbstverständlich auch jedes Recht, sich zu verteidigen und besetzte Gebiete zurückzuerobern.

Und dennoch lautet das Gebot der Stunde, dass alles, aber auch wirklich alles dafür getan werden muss, um mit Putin ins Gespräch zu kommen. Offene Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Das muss die schärfste Reaktion des Westens sein. Warum? Weil sonst der Atomkrieg droht.

Ist das nicht irre? Ja, leider. Aber wer auch nur ansatzweise versucht zu verstehen, wie Putin tickt, kommt schnell zu der Erkenntnis, dass sehr wenig, genauer genommen gar nichts dafür spricht, dass Putin auf den Einsatz von Atomwaffen verzichten würde. Denn offensichtlich ist ihm alles egal. Das Gleichgewicht des Schreckens? Nukleare Abschreckung funktioniert ja nur, wenn sie als solche auch wahrgenommen wird. Ansonsten ist sie ein Spiel mit der größtmöglichen Eskalation.

Mit jeder an sich erfreulichen Erfolgsmeldung der ukrainischen Armee wird sie wahrscheinlicher. Gerade weil Putin in die Ecke gedrängt wird, macht ihn das unberechenbar. Gerade weil er mit der Einverleibung der Ostgebiete die Grenze und damit die rote Linie auf eine für die Ukraine nicht akzeptable Weise nach Westen verschoben hat. Dagegen hilft nur das schärfste Schwert der Demokratien: Reden.

Der Westen ist schon längst erpressbar

Schon klar. Bisher hat Putin jedes Gespräch abgelehnt. Auch weil ihm – verständlicherweise – nichts geboten wurde. Deshalb müssen Gespräche so offen sein, dass alles auf den Tisch kommt. Und alles heißt auch: der Grenzverlauf. Krim. Donezk. Luhansk. Das ist unerträglich. Aber immer noch erträglicher als ein Atomkrieg.

Wäre das nicht der Kniefall vor dem Despoten? Ja, aber … Würde das Putin besänftigen? Vielleicht nicht, aber… Würde er nicht später noch mehr fordern? Gut möglich, aber … Macht das den Westen nicht erpressbar? Hier wenigstens ein klares Nein. Der Westen hatte sich längst erpressbar gemacht – durch die Abhängigkeit von russischem Gas, Öl und anderen Rohstoffen. Und er wird erpressbar bleiben, solange Putin am roten Knopf sitzt.

Die Eskalation kann man nur mit einer Waffe bekämpfen: Deeskalation. Denn wie enden Kriege? Entweder mit der Kapitulation einer Seite. Das erscheint hier undenkbar. Oder mit Friedensverhandlungen. Oder wenigstens mit Gesprächen über einen Waffenstillstand, der an Bedingungen geknüpft wird, die keiner Seite gefallen können, weil es immer ein für beide schmerzhafter Kompromiss ist. Nichts, das man will. Nichts, das man wirklich gutheißen kann. Und Nicht-Krieg ist auch noch lange kein Frieden. Aber immer noch besser als Atomkrieg.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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