: Rummel vorm Gericht
■ Gestern begann in Hamburg der Prozeß gegen den Attentäter von M. Seles
Es gibt Medien-Ereignisse, die bleiben unvergessen. Es gibt aber auch Spektakel, die sollten schnell vergessen werden. Zu dieser Kategorie gehört der gestrige Prozeß gegen den Attentäter von Tennisstar Monica Seles, Günter Parche. Über 120 JournalistInnen und ein dutzend Kamerateams aus der ganzen Welt tummelten sich vor dem Gerichtssaal 279, um den Ausgang des Verfahrens gegen den fanatischen Steffi-Graf-Fan live mitzuerleben.
Der Rummel begann im Morgengrauen. Übertragungswagen der Rundfunkstationen postierten sich vor dem Strafjustizpalast, um die ersten live-Berichte zum Frühstück zu senden. Fernsehteams und Fotografen brachten sich in Position. Schon zwei Stunden vor Prozeßbeginn bildete sich hinter Hamburger Gittern eine lange Reporterschlange – alle wollten einen der 40 Plätze ergattern.
Nur schwer konnten sich die Prozeßbeteiligten den Weg in den Verhandlungssaal bahnen. Obwohl das Strafjustizgebäude im zweiten Stock über große Landgerichtssäle verfügt, war nur ein kleiner Amtsgerichtssaal für das Verfahren aus-erkoren worden. Als sich gegen neun Uhr die Saaltür schloß, mußten selbst viele aus Übersee angereiste ReporterInnen vor der Tür bleiben.
Dabei gab es im Prinzip kaum etwas in Bild und Ton festzuhalten. Der 39jährige Seles-Attentäter aus Thüringen wurde direkt aus den Katakomben des Untersuchungsgefängnisses in den Gerichtssaal geführt, Tennisstar Monika Seles war ohnehin nicht einmal als Zeugin geladen. Denn der Sachverhalt war bereits vor Verhandlungsbeginn klar: Der Messerstecher vom Rothenbaum, der Monika Seles am 30. April während des Damen- Tennis-Turniers ein Küchenmesser in den Rücken gerammt hatte, ist geständig.
Nur ein Punkt dieses Verfahrens war spannend. Seles' Hamburger Anwalt, Gerd Strate, brachte im Namen der Tennisspielerin sein Unverständnis zum Ausdruck, daß Parche nur wegen gefährlicher Körperverletzung und nicht wegen „versuchten Mordes“ angeklagt worden ist. Der tiefe Stich hätte tödlich sein können. Parche bestritt vor Gericht, den Tennis-Star damals umbringen zu wollen. „Ich wollte auf keinen Fall Frau Seles töten, deshalb habe ich auch nicht auf den Kopf oder Hals gezielt“, hatte er über seinen Anwalt Ortmar Kury erklärt. Er habe aber nicht ertragen können, daß Monika Seles Steffi Graf vom ersten Platz der Weltrangliste verdrängt habe. Parche: „Heute bereue ich die Tat und schäme mich dafür.“ Dazu hat er auch allen Grund: Seles leidet seither an Angstzuständen und konnte bislang nicht spielen. Das Urteil wird heute erwartet. K. von Appen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen