: Rumänischer Wendehals
Der rumänische Botschafter in Ost-Berlin, Gheorgie Caranfil, am 22. Dezember um 19 Uhr ■ I N T E R V I E W
22. Dezember, vormittags: Ceausescu ist gestürzt! Die Botschaftsmitarbeiter kommen aus dem Gebäude. Drei Flaschen rumänischen Sekts werden der Mahnwache spendiert und aus dem Schaukasten die Ceausescu-Bilder entfernt. Ein Transparent wird angebracht: „Wir sind stolz auf unser Volk, wir beklagen die Opfer, wir verurteilen die Gewalt, das Volk wird die Schuldigen richten!„
taz: Herr Botschafter, wie fühlen Sie sich jetzt?
Caranfil: Für uns ist heute ein glücklicher Tag. Ganz Rumänien feiert.
Wie haben Sie die Mahnwache gegenüber der Botschaft in den letzten Tagen empfunden?
Ich sehe und sah die Mahnwache als Solidarität mit unserem Volk. Es war richtig, das zu tun.
Aber noch vor zwei Tagen sagten Sie unten zu den Leuten, es wäre sinnlos, hier zu stehen, und die Schilder, auf denen eine sofortige Einstellung des Völkermordes gefordert wurde, wären eine Frechheit.
Ich habe von Anfang an gesagt: Lassen Sie das rumänische Volk selbst bestimmen.
War die jetztige Entwicklung für Sie vorhersehbar?
Wissen Sie, was das rumänische Volk beginnt, das führt es auch zu Ende.
Wie schätzen Sie jetzt die Zukunft Rumäniens ein?
Das rumänische Volk wird mit aller Anstrengung diese schlimme Periode überwinden. Wir werden eine richtige Demokratie aufbauen.
Gibt es Opfer unter den Angehörigen der Botschaftsmitarbeiter?
Bis jetzt gibt es ein Opfer unter den Angehörigen. Wir hoffen, daß es nicht noch mehr werden.
Wird Rumänien den Weg einer bürgerlichen Demokratie einschlagen, oder sind noch sozialistische Modelle wie zum Beispiel ein demokratischer Sozialismus im Gespräch?
Zuerst müssen die Fehler aufgedeckt werden, die den Sozialismus weltweit scheitern ließen. Viele Dinge müssen berichtigt werden, so viele Lügen muß man klären. Dann wird man weitersehen.
Interview: Kalle Winkler
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