: Rumäniens Regierung lenkt ein
■ Streikführer erklärt nach Zugeständnissen Konflikt für beendet/ Ein Teil der Kumpel will jedoch nicht nach Hause fahren/ All-Parteien-Verhandlungen über „Regierung der Nationalen Öffnung“
Bukarest (afp/dpa) — Zwei Tage nach Beginn der gewaltsamen Proteste in Rumänien ist es zu einer Spaltung der Bergarbeiterbewegung gekommen. Streikführer Miron Cosma erklärte nach einer Unterredung mit Staatspräsident Ion Iliescu am Freitag mittag, der Konflikt sei „beendet“. Ein Teil der aufgebrachten Kumpel weigerte sich am Nachmittag jedoch, die Hauptstadt zu verlassen und ins Kohlegebiet Jiu zurückzukehren. Die meisten der vor dem Präsidentenpalast versammelten Bergarbeiter machten sich dagegen auf den Heimweg.
Einheiten der rumänischen Sicherheitspolizei lösten am Nachmittag mit Tränengas eine Kundgebung von rund 5.000 verbliebenen Demonstranten vor dem Präsidentenpalast auf. Sie hatten den Rücktritt von Staatspräsident Ion Iliescu gefordert und seinen Amtssitz mit Steinen beworfen.
Iliescu kündigte an, er werde kommende Woche in das Jiu-Kohlerevier fahren. Iliescus Sprecher Mirunow werklärte, den Bergleuten sei auch eine Untersuchung zugesichert worden, die klären solle, wer für die Tötung von Demonstranten verantwortlich sei.
Ministerpräsident Petre Roman, der unter dem Druck der gewalttätigen Proteste in Bukarest am Donnerstag seinen Rücktritt eingereicht hatte, rückte noch am selben Tag von dieser Entscheidung ab.
Im Präsidentenpalast begannen am Freitag Verhandlungen über eine „Regierung der Nationalen Öffnung“. An den Gesprächen nahmen nahezu alle im Parlament vertretenen Parteien teil. Anwesend waren außerdem die Präsidenten des Abgeordnetenhauses und des Senats, Dan Martian und Alexandru Birladeanu, sowie der Industrieminister des am Vortag zurückgetretenen Kabinetts, General Victor Stanculesu. Ministerpräsident Roman nahm nicht teil. Iliescu betonte, jede Gruppe solle die Möglichkeit haben, ihre Vorschläge bezüglich einer neuen Regierung und deren Zusammensetzung zu unterbreiten.
Bei den gewaltsamen Protesten gegen die Regierung, an denen sich nicht nur die Bergleute beteiligten, wurden in den vergangenen Tagen mindestens vier Menschen, darunter drei Polizisten, getötet. Die Hauptstadt bot ein Bild der Verwüstung. Nach Meldungen des örtlichen Rundfunks verließ eine erste Gruppe von etwa zweitausend Bergarbeitern in der Nacht zum Freitag die Hauptstadt.
Am Donnerstag abend hatte die Regierung deutlich gemacht, sie sei entschlossen, auch um den Preis weiteren Blutvergießens Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Das Verteidigungsministerium wies die Armee an, zum Schutz von Regierungsgebäuden und anderen öffentlichen Einrichtungen scharfe Munition gegen mögliche Angreifer einzusetzen. Die Armee wurde im ganzen Land in erhöhte Kampfbereitschaft versetzt.
Kurze Zeit nach Bekanntmachung dieser Anordnung räumten die Sicherheitskräfte gewaltsam das Gelände des Fernsehgebäudes in Bukarest. Die Bergleute und Demonstranten, die das Gelände fünf Stunden lang besetzt hielten, wurden unter Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken vertrieben. Polizisten jagten Demonstranten nach und nahmen mehrere Personen fest. Die Demonstranten schleuderten Molotowcocktails und Steine auf die Polizisten.
Die Bergleute forderten den Rücktritt der Regierung, eine Lohnerhöhung und bessere Arbeitsbedingungen.
Die EG-Kommission verschob unterdessen Gespräche mit der rumänischen Führung über ein geplantes Assoziierungsabkommen. Ein Sprecher der EG-Kommission wollte am Freitag zwar nicht von einer „Suspendierung“ der Kontakte zu Rumänien sprechen, sagte aber, Brüssel wolle zunächst eine „Klarstellung“ über die Machtverhältnisse in dem Land abwarten.
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