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Ruhmreiche russische Schauspielkunst

■ Das St. Petersburger Maly Theater gastiert mit zwei Inszenierungen im Thalia

An den letzten Auftritt des St. Petersburger Maly Theaters in Hamburg erinnern wir uns gerne. Da gastierte die Truppe mit Gaudeamus im Thalia Theater, einem Stück über die russische Armee, in dem die Figuren die meiste Zeit über in der Scheiße steckten: In der sanften Schräge des Bühnenbildes taten sich Löcher auf, das waren die Latrinen, die auszuheben die dargestellten Soldaten beschäftigt waren. Dazwischen sangen die Soldaten oder exerzierten oder prügelten sich, kurzum: Das Maly Theater bot unter Regisseur Lew Dodin eine sehr körperbetonte, sehr absurde, sehr unterhaltsame und lehrreiche Farce. Nicht nur wir waren schwer begeistert, andere adelten Dodins Theaterkonzept mit der paradoxen Beschreibung: „avantgardistischer Traditionalismus“.

Jetzt kommt die Theatertruppe, die trotz schwieriger ökonomischer Bedingungen die Fahne der ruhmreichen russischen Schauspielkunst weiterhin hochhält, nach Hamburg zurück. Und zwar gleich mit zwei Inszenierungen, von denen jede einen Zweig obigen Paradoxes für sich beanspruchen kann: Die Interpretation von Tschechows Kirschgarten bezieht sich auf traditionelles Sprechtheater; der Bezugspunkt der Collage Claustrophobia ist dagegen besser mit dem Begriff Avantgarde bezeichnet, Improvisationstechniken und Tanztheatersequenzen unterlaufen hier von vornherein die Einheit von Sprache, Rolle und Schauspieler.

Wobei nun allerdings das Thema von Claustrophobia recht traditionell anmutet. Es geht nämlich um Heimat. Genauer: um einen fremden Blick auf sie. Der daraus entsteht, daß Reisen erstens bildet – und zweitens das zuvor zu Hause als selbstverständlich Erlebte relativiert. So erging es jedenfalls, wie Lew Dodin im Vorabgespräch Hamburgs Presse kundtat, den Mitgliedern des Maly Theaters auf ihren Gastspielreisen durch die Metropolen Europas. Worauf sie wie echte Schauspieler reagierten: Sie spielten ihre Empfindungen und Erfahrungen nach. Aus Improvisationen wurden Szenen, aus den Szenen schließlich ein Stück, voilà: Claustrophobia.

Wie weit sich diese Dezentrierung des ehemals Selbstverständlichen auf die Lesart vom Kirschgarten durchschlägt (auch die jeweiligen Klassiker gehören zur Heimat!), wird man sehen müssen.

Dirk Knipphals

22.–24. 6. „Der Kirschgarten“, 26.–28. 6. „Claustrophobia“; Thalia Theater

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