: Rufmord und Ignoranz
Frau Bergemann schreibt: „Eigentlich sollte es auf der Podiumsdikussion um die Skandal-Ausstellung ‚When Love Turns to Poison‘ gehen.“ Das ist nicht richtig, denn in der offiziellen Ankündigung heißt es: „Bild Macht Rezeption. Kunst im Regelwerk der Medien. Öffentliche Diskussion zu den Auseinandersetzungen über die Kunstausstellung ‚When Love Turns to Poison‘ “. Ich frage mich auch, wann mit Recht der Begriff Skandal-Ausstellung gebraucht werden sollte und wann nicht. Hier wird suggeriert, die Ausstellung sei ein Skandal. Das müsste dann allerdings schlüssig bewiesen werden. In der Ausstellung „Sensation. Junge Britische Kunst“ (Hamburger Bahnhof 1999) wurden auch drastische Objekte und Bilder zum Thema Kindesmissbrauch gezeigt. Meines Wissens gab es damals keine vergleichbaren Angriffe auf die Kuratoren und Künstler.
Frau B. schreibt: „Kurator Stephane Bauer bewies einmal mehr seine mangelnde Sensibilität beim Umgang mit dem Thema Kindesmissbrauch.“ Diese Aussage ist falsch, ist Rufmord und ist, wenn überhaupt, so nur der Unkenntnis der Autorin mit dem Themenkomplex Kindesmissbrauch zuzuschreiben. Stephane Bauer hat große Sensibilität gezeigt. Dass in der Ausstellung mit Problembewusstsein agiert wird, darauf verwies der Titel. „Wenn Liebe Gift wird“ impliziert, hier wird etwas Zerstörerisches, Tödliches dargestellt.
Die Aussage von Frau B. unterstellt den Künstlern mangelnde Sensibilität gegenüber Kindesmissbrauch. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass ein Künstler Bilder zeichnet wie Françoise Cactus, malt wie Beth Love oder Videoinstallationen anfertigt wie Mathias Seidel, wenn sie/er nicht selber ein starkes inneres Motiv dazu hat. Kinderschänder wissen, dass ihr Tun verwerflich ist, und versuchen im Geheimen zu agieren. Diese Arbeiten wurden bewusst der Öffentlichkeit vorgestellt. Kein Mensch/Rezensent ist auf die Idee gekommen, sich zu fragen, welche biografischen Momente vielleicht eine Rolle gespielt haben könnten. Eine unglaubliche Ignoranz!
Frau B. schreibt: „Videoinstallationen von Mathias Seidel, die gerade wegen ihrer vordergründigen Harmlosigkeit einen Nerv treffen: wenn etwa angedeutet wird, dass eine Kasparhandpuppe eine auf dem Rücken liegende Puppe missbraucht.“ Ich habe in den Videoinstallationen gesehen, dass Seidel psychotherapeutische Szenarien eingesetzt und künstlerisch überhöht hat, nämlich übliche Therapiemethoden von Kinderpsychologen im Umgang mit missbrauchten Kindern, die mit Stellvertreterobjekten wie Puppen und Teddys das erlebte Trauma nachstellen.
Frau B. schreibt, die Empörung der Ausstellungsmacher über die Kampagne der Boulevardpresse sei nicht nachvollziehbar, alle hätten vom großen Skandal profitiert. Frau B. scheint entgangen zu sein, dass infolge der Hetzkampagne durch Springer-Presse und rechte Politiker mindestens drei Existenzen (eines Lehrers, einer Bürgermeisterin, eines Kurators) auf dem Spiel standen. Sie scheint auf der Diskussionsveranstaltung nicht gehört zu haben, dass Eva-Maria Nicolai (Mädchenberatungsstelle Wildwasser e. V.) beklagte, dass die Pressekampagne von Bild und B.Z. mit sensationslüsternen Skandalisierungen weit hinter die Ergebnisse ihrer Arbeit zurückgefallen sind: nämlich Kindesmissbrauch nicht als Sensation zu verkaufen. Frau B. scheint davon auszugehen, dass Kinderschutzverbände Profit (welcher Art auch immer) machen wollen. Sie scheint weder die politische noch die ethische Dimension der Auseinandersetzung erfasst zu haben. ARNA VOGEL, Berlin
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