Rüstungsgüter in Konfliktregion: Mit Zwischenstopp nach Baku
Gegen Aserbaidschan gilt seit 30 Jahren ein Waffenembargo der OSZE. Trotzdem besitzt die Armee Militär-Lkws von Mercedes.
Fest auf ihrem Heck installiert: schwere Mörser vom Typ Cardom, die Ziele im Umkreis von mehreren Kilometern mithilfe von Hightechsensoren punktgenau beschießen können. In einer Broschüre wirbt der israelische Hersteller Elbit Systems mit der „Präzision“, der „massiven Feuerkraft“ und der „Transportfähigkeit“ dieser Geschütze.
Rüstungsspezialisten von Greenpeace sind vor Kurzem auf die Aufnahmen gestoßen. Die Rechercheure der Umwelt- und Friedensorganisation waren sofort alarmiert. Denn: Für Aserbaidschan gilt seit fast 30 Jahren ein Waffenembargo der OSZE. Die Mitgliedstaaten der Organisation haben sich darauf geeinigt, weder der Regierung in Baku noch dem Nachbarland Armenien Rüstungsgüter zu liefern.
Empfohlener externer Inhalt
Grund ist der Krieg um die Grenzregion Bergkarabach, in dem in den 1990er Jahren Tausende Menschen starben. Bis heute flammt der Konflikt immer wieder auf. Dazu kommen gravierende Menschenrechtsverletzungen des aserbaidschanischen Regimes, dem Amnesty International unfaire Gerichtsverfahren, willkürliche Festnahmen und verdächtige Todesfälle in Gefängnissen vorwirft.
Dem Embargo entsprechend genehmigen die deutschen Behörden tatsächlich nur selten Waffenexporte in das Land. Die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung enthalten zwar immer mal wieder Lieferungen nach Aserbaidschan, oft geht es dabei aber um Geländewagen oder Feuerwehrfahrzeuge, die wohl nur formell als Rüstungsgüter eingestuft sind. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums werden „nur in Ausnahmefällen Genehmigungen erteilt“ – und das auch nur für Güter, die „nicht für eine militärische Verwendung im Bergkarabach-Konflikt geeignet sind“.
Die auf den Aufnahmen zu sehenden Mercedes-Lkws vom Modell Atego, das Daimler ab 2004 produzierte, wären dafür aber sehr wohl geeignet. Die Fahrzeuge auf den Fotos sind eindeutig für militärische Zwecke ausgerüstet. Lackiert sind sie in Tarnfarben. Am Heck befinden sich geländefähige, ausfahrbare Stützen, die normalerweise genutzt werden, um den Rückstoß von Geschützen abzufedern. Auf das Dach der Fahrerkabinen sind auffällige, dreieckig geformte Aufbauten montiert – womöglich beinhalten sie die Sensoren des Waffensystems.
Wie kann es sein, dass solche Lastwagen und die darauf installierten Mörser trotz Embargo nach Aserbaidschan gelangten?
Israel exportiert trotz Embargo
Zumindest für die Mörser lässt sich der Weg relativ sicher nachvollziehen: Das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri hat in seiner Datenbank verzeichnet, dass Aserbaidschan im Jahr 2008 zehn der Geschütze direkt in Israel bestellt und sie zwischen 2010 und 2011 erhalten hat. Israel ist zwar offizielles Partnerland der OSZE, fühlt sich an deren Embargo aber nicht gebunden.
Die israelische Rüstungsindustrie macht mit Aserbaidschan gute Geschäfte, das Land mauserte sich in den vergangenen Jahren zum zweitbesten Kunden israelischer Waffenbauer. Den Israelis geht es dabei nicht nur ums Geld: Die Regierung in Jerusalem sieht in der Kaukasusrepublik, die direkt an den Iran grenzt, auch einen strategischen Partner.
Wie die Mercedes-Lastwagen nach Aserbaidschan gelangten, lässt sich nicht so leicht nachvollziehen. Theoretisch wäre denkbar, dass sie mit all ihrer militärischen Ausstattung, aber ohne die Mörser, direkt nach Aserbaidschan geliefert und dort mit den Geschützen bestückt wurden. Mit der Camouflage-Lackierung und den restlichen militärischen Komponenten wären die Lkws aber relativ eindeutig als Rüstungsgut im Sinne der Außenwirtschaftsverordnung einzustufen gewesen. Und das heißt: Der Export wäre nur mit behördlicher Genehmigung möglich gewesen.
In den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung taucht so eine Genehmigung aber nicht auf. Auf Nachfrage bestätigt das Wirtschaftsministerium, im fraglichen Zeitraum „keine Genehmigungen für die Ausfuhr militärischer Lkws nach Aserbaidschan erteilt“ zu haben.
Umweg über Nahost?
Der zweite denkbare Weg: Die Militär-Lkws wurden zunächst nach Israel exportiert, dort mit den Mörsern ausgestattet und weiter nach Aserbaidschan geliefert. Im deutschen Rüstungsexportbericht 2010 ist tatsächlich die Genehmigung für eine Lkw-Lieferung nach Israel gelistet, allerdings ohne Angaben zu Hersteller, Modell und Anzahl.
In diesem Fall hätte der Mercedes-Kunde in Israel eigentlich schriftlich erklären müssen, dass die Lkws im Land verbleiben. Ansonsten erteilen die deutschen Behörden generell keine Exportgenehmigungen. Ob diese Versprechen auch eingehalten werden, lässt die Bundesregierung aber erst seit wenigen Jahren kontrollieren – und das bisher auch nur stichprobenartig für Kleinwaffen.
Die Grünen im Bundestag kritisieren das schon lange. „Post-Shipment-Kontrollen dürfen sich nicht nur auf Kleinwaffen beziehen, sondern müssen grundsätzlich für militärisches Gerät vorgesehen sein“, sagt die Abgeordnete Katja Keul, die sich schwerpunktmäßig mit Rüstungsexporten beschäftigt.
Ihr Misstrauen ist durchaus berechtigt: Recherchen tschechischer Journalisten zufolge verstieß der Elbit-Konzern, von dem auch die Mörser stammen, in der Vergangenheit schon mindestens einmal gegen Regeln. Er kaufte demnach Rüstungsgüter einer tschechischen Firma, unterschrieb dafür eine Endverbleibserklärung, leitete die Ware dann aber direkt nach Aserbaidschan weiter, ohne sie zuvor auch nur in Tel Aviv aus dem Flugzeug geladen zu haben.
Ob es mit den Mercedes-Lastern ähnlich lief? Die israelische Botschaft in Berlin ließ entsprechende Fragen der taz unbeantwortet – ebenso wie die Vertretung Aserbaidschans.
Daimler verteidigt sich
Denkbar ist aber auch noch ein dritter Weg: Vielleicht exportierte Daimler oder ein Zwischenhändler die Lkws in einer zivilen Version. Sämtliche militärische Komponenten erhielten sie dann erst in Israel oder direkt in Aserbaidschan.
Auf diese Möglichkeit verweist der Stuttgarter Fahrzeug- und Rüstungskonzern selbst. Einer Sprecherin zufolge erfuhr Daimler erst in der vergangenen Woche durch die Anfrage der taz davon, dass die aserbaidschanische Armee Mercedes-Lastwagen nutzt. Man habe garantiert keine militärischen Fahrzeuge dorthin verkauft und könne auch nach einer sorgfältigen Prüfung nicht nachvollziehen, wie das Regime an die Lkws gelangte.
Die Sprecherin schreibt weiter: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass es gänzlich außerhalb unserer Kontrolle und Verantwortung ist, welche Verkäufe insbesondere gebrauchter Fahrzeuge über Dritte getätigt werden oder welche Aufbauten/Systeme über Dritte auf Mercedes-Benz-Lkw-Chassis montiert werden.“
Das Greenpeace-Team, das die Aufnahmen aus Aserbaidschan entdeckt hatte, bringt das erbetene Verständnis allerdings nicht auf. „Jeder Rüstungskonzern ist am Ende des Tages dafür verantwortlich, wo sein Kriegsgerät landet. Das gilt für Daimler genauso wie für Rheinmetall und Heckler & Koch“, sagt Alexander Lurz, der als Abrüstungsexperte für die Organisation arbeitet. Man könne so langsam „nicht mehr zählen, wo überall deutsches Kriegsgut auftaucht“, so Lurz. Das Einzige, was dagegen helfe, sei ein „vollständiges Rüstungsexportverbot in alle Drittländer“.
Einen eigenen Entwurf für ein entsprechendes Gesetz, das Exporte in Länder außerhalb der EU zumindest stark einschränkt, hatte Greenpeace Anfang des Jahres vorgestellt. Der Entwurf sieht wenige Ausnahmen und viele Kontrollen vor. Dass zivile Produkte deutscher Hersteller im Ausland militärisch umgebaut werden, ließe sich zwar auch dadurch nicht verhindern. Zumindest aber würde die Wahrscheinlichkeit sinken, dass deutsche Rüstungsgüter an Embargos vorbei in den Krisengebieten der Welt landen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz