Rücktrittspläne von Christine Lambrecht: Es war nicht alles schlecht
Aber sehr vieles: Die Verteidigungsministerin, deren Rücktritt offenbar bevorsteht, hinterlässt nach 13 Monaten eine bescheidene Bilanz.
Fast so, als wollte sie zum Schluss ihren Ruf polieren und die Vorwürfe abschütteln, sie interessiere sich gar nicht für die Bundeswehr und habe sich in ihren Job bis heute nicht eingearbeitet. Dass es dem Ende entgegengeht, muss ihr während dieser kleinen Abschiedstour zumindest schon klar gewesen sein: Keine vier Stunden nach der Pressekonferenz zum Puma meldete die Bild-Zeitung, dass die SPD-Politikerin zurücktreten will. Irgendjemand hatte die Neuigkeit früher als geplant durchgestochen. Lambrechts Ministerium dementierte die Meldung daraufhin nicht.
Eine eigentlich verdienstvolle Politkarriere – Anfänge in der Kommunalpolitik, diverse Positionen in der SPD-Bundestagsfraktion, dann zweieinhalb passable Jahre als Justizministerin – endet somit voraussichtlich vorzeitig und mit wenig Ruhm. Im Dezember 2021 machte Neu-Kanzler Olaf Scholz die heute 57-Jährige zur Verteidigungsministerin. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde das Amt kurz darauf zu einem der wichtigsten Regierungsressorts. Gerecht geworden ist sie ihrer Aufgabe in den darauffolgenden Monaten aber tatsächlich nicht.
In einer Infratest-Umfrage gaben zuletzt nur noch 13 Prozent der befragten Wähler*innen an, mit Lambrechts Arbeit zufrieden zu sein. Hätte man die Umfrage in der Bundeswehr oder innerhalb der Ampel-Fraktion durchgeführt, wären die Werte kaum höher gewesen. Eher im Gegenteil.
Vertrauen gekostet hat vor allem die schlechte Außendarstellung. Nicht alles hat Lambrecht selbst zu verantworten, ein Teil der medialen Kritik war von Anfang an auch kleinlich bis frauenfeindlich. Vorgeworfen wurde ihr unter anderem, dass sie die 83 Dienstgrade der Bundeswehr nicht auswendig lernen wollte oder beim Truppenbesuch in Mali Schuhe mit hohem Absatz trug.
Medienkompetenz hat gefehlt
Vieles andere war dann aber eben doch hausgemacht, nicht zuletzt Lambrechts Social-Media-Aktivitäten bei erkennbar geringer Social-Media-Kompetenz. Auf Instagram tritt sie auf zwei Accounts als Verteidigungsministerin auf. Einer offiziell und vom Ministerium verwaltet, der andere vorgeblich privat und ohne professionelle Beratung. Auf diesem veröffentlichte sie am Silvesterabend dilettantisch gedrehte und inhaltlich schräge Neujahrsgrüße: Sie freue sich, sagte sie sinngemäß, dank des Ukraine-Kriegs viele interessante Menschen kennengelernt zu haben.
Selbst wer es bis dahin im politischen Berlin noch gut mit Lambrecht meinte, verlor nun langsam den Glauben an ein gutes Ende. Selbst in der SPD wollte man die Auftritte der Ministerin nun nicht mehr so recht verteidigen.
Kritik an Lambrecht gab es aber nicht nur wegen ihrer Außendarstellung, sondern auch wegen ihrer inhaltlichen Arbeit – obgleich die Bilanz hier etwas differenzierter ausfallen muss. Auslandseinsätze spielen dabei zur Abwechslung nicht die größte Rolle. Als erste deutsche Verteidigungsministerin seit zwei Jahrzehnten musste sich Lambrecht nicht mit dem Afghanistan-Einsatz herumschlagen, dieser endete schließlich schon im Sommer vor ihrem Amtsantritt. Andere große Auslandseinsätze gibt es abgesehen von Mali nicht mehr.
Auch den Mali-Einsatz wollte Lambrecht lieber früher als später beenden. Dabei argumentierte sie mit den Schikanen der malischen Militärjunta und den Gefahren, denen die deutschen Soldat*innen ausgesetzt sind. In einen Konflikt geriet Lambrecht dadurch mit den Grünen und dem Auswärtigen Amt, die einen überhasteten Abzug befürchteten und sich über entsprechende Vorstöße der Verteidigungsministerin ärgerten.
Als Kompromiss kam am Ende ein Abzug auf Raten heraus, der bis Mai 2024 vollzogen sein soll. Unbeantwortet bleibt bislang die grundsätzliche Frage, welche Rolle Auslandseinsätze künftig noch spielen, wenn die Hauptaufgabe der Bundeswehr nun die Bündnisverteidigung gegen Russland ist. Große Impulse in dieser Debatte setzte Lambrecht nicht.
Im Schatten des Kanzlers
Öffentlich stärker im Fokus war in den vergangenen Monaten ohnehin die Frage nach militärischer Unterstützung für die Ukraine, konkret nach Waffenlieferungen. Hier stand Lambrecht im Schatten des Bundeskanzlers, der die Grundsatzfragen lieber auf eigene Faust klärte. Eine schwache Verteidigungsministerin kam ihm dabei wohl nicht ganz ungelegen.
Für Lambrecht blieb die undankbare Aufgabe, anschließend die Lieferungen aus den dünnen Arsenalen der Bundeswehr zu managen und die Kehrtwenden des Kanzlers kommunikativ irgendwie zu unterfüttern. Zuletzt galt das für die Lieferungen von Marder-Schützenpanzern, die sie monatelang als unabkömmlich bezeichnete und jetzt doch plötzlich abgeben konnte.
Die aktuell größte Aufgabe des Verteidigungsministeriums aber: Die Bundeswehr auf Vordermann bringen, die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen sinnvoll verwenden, neue Geldverschwendung verhindern. Strukturell legte Lambrecht schon in den Monaten nach Kriegsbeginn erste Änderungen im Beschaffungswesen vor. So darf die Truppe mittlerweile Aufträge unter einem Wert von 5.000 Euro ohne bürokratisches Vergabeverfahren durchführen. Das Bundeswehr-Beschaffungsamt ist dadurch entlastet und kann sich stärker auf große Projekte fokussieren.
Eine große Strukturreform, die sich manche erhofften, ist aber nicht in Sicht. Lambrecht setzte eher auf einzelne, schnell umsetzbare Schritte.
Keine Eile
Mit Blick auf konkrete Beschaffungsprojekte ist strittig, ob Lambrecht nach der Ausrufung der Zeitenwende durch den Bundeskanzler genügend Tempo gemacht hat. Neue Uniformen für die Soldat*innen, von diesen lange gewünscht, bestellte sie zwar schon, bevor die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen unter Dach und Fach waren. Mit Nachbestellungen für die leeren Munitionslager der Bundeswehr, so die Kritik aus der Ampel, ließ sie sich dagegen zu viel Zeit.
Neben der Frage nach dem Tempo stellt sich allerdings auch die nach der Gründlichkeit. Bewusst Zeit ließ sich Lambrecht zuletzt bei den Puma-Schützenpanzern. Im Dezember wurden neue Pannen an den Fahrzeugen bekannt, kurz nachdem der Bundestag ein teures Nachrüstungsprogramm beschlossen hatte. Lambrecht stoppte den Auftrag vorerst und nahm die Hersteller öffentlich in die Pflicht.
Mittlerweile sind die Schäden behoben. Sie waren weniger gravierend, als ursprünglich befürchtet. Trotzdem sind in der Angelegenheit noch immer Fragen offen, so dass Lambrecht an ihrem Auftragsstopp auch nach dem Treffen mit den Rüstungsbossen am Freitag festhielt.
Stress für den Kanzler
Über die Zukunft des Projekts wird nun nicht mehr sie entscheiden. Wer Lambrechts Nachfolge antritt, war bis Samstagnachmittag unklar. Dem Bundeskanzler wäre sicherlich eine geregelte Übergabe lieber gewesen. Da Lambrechts Rücktrittspläne vorab öffentlich geworden sind, muss Olaf Scholz nun unter erhöhtem Zeitdruck eine Lösung präsentieren.
Ein Politprofi wäre nicht schlecht: Das Verteidigungsministerium ist traditionell schwer zu führen. Dass Lambrecht immer wieder mit Indiskretionen zu kämpfen hatte – mit Durchstechereien hatte sie schon vor ihren Rücktrittsplänen zu kämpfen – war keine Überraschung. Vorerfahrung in puncto Verteidigungspolitik schadet auch nicht: In Kriegszeiten bleibt wenig Zeit zur Einarbeitung. Wegen der angestrebten Geschlechterparität im Kabinett müsste die Wahl zudem auf eine Frau fallen, falls Scholz eine größere Kabinettsumbildung vermeiden möchte.
Zwei Namen sind daher naheliegend: Eva Högl, derzeit Wehrbeauftrage des Bundestags, und Siemtje Möller, als Parlamentarische Staatssekretärin schon jetzt im Ministerium. Gegen beide spricht wiederum die Flügellogik der SPD: Anders als Lambrecht sind sie keine Parteilinken. So oder so wird es eine perfekte Lösung nicht geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“