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Rückschlag gegen Backlash

■ Mißbrauch des Mißbrauchs: Hamburger Beratungsstellen warnen vor „gefährlicher Polemik“ Von Kaija Kutter

Ein schriftlicher Appell, den der „Hamburger Initiativkreis gegen sexuelle Gewalt“ Anfang August an die Medien verschickte, fand wenig Beachtung. Darin warnen Institutionen wie die Beratungsstelle „Allerleirauh“, das „Kinderschutzzentrum“ und das „Mädchenreferat im Amt für Jugend“ vor einer „gefährlichen Polemik“. Wenn „professionelle Arbeit“ und „menschliches Engagement“ zum Thema „sexuelle Gewalt“ weiterhin öffentlich als „Panikmache“ diskreditiert würden, entstehe eine Verunsicherung, unter der letzlich die betroffenen Kinder zu leiden haben. „Für sie wird es schwieriger, Hilfe zu bekommen.“

Anlaß für den Brief war die Juni-Titelstory des Spiegel, in der unter der provokativen Frage „Jeder Mann ein Kinderschänder?“ die Anklage gegen einen in Münster wegen Kindesmißbrauchs vor Gericht stehenden Erzieher nach Strich und Faden auseinandergenommen wird. Die dortige Beratungsstelle habe die Anschuldigung inszeniert, um die eigene Existenz zu sichern, wird darin der Richter zitiert. Schon anderthalb Jahre zuvor hatte die Berliner Publizistin Katharina Rutschky mit ihrem Buch „Erregte Aufklärung“ die Debatte auf den Kopf gestellt. Ihr Fazit: Die oft zitierte Dunkelziffer von 300.000 Opfern im Jahr sei völlig übertrieben. Der sexuelle Mißbrauch sei Modeanalyse für durch Fortbildung erweckte und ansonsten faule Erzieher, die durch Fehldiagnosen leichtfertig großen Schaden anrichteten.

Die Reaktion der Hamburger Initiativen kommt spät. Doch inzwischen sind sich alle sicher, „daß wir eine konstruktive Auseinandersetzung brauchen“, wie es die Sozialpädagogin Heidi Müller von „Allerleirauh“ formuliert. Denn die Debatte um den „Mißbrauch des Mißbrauchs“, von Insiderinnen „Backlash“ genannt, habe einen Grad von Verunsicherung erreicht, „der den Opfern schadet“. Müller: „Wir merken, daß Betroffene sich schwerer tun, offensiv damit umzugehen“. Auch hätten Mütter deutlich größere Schwierigkeiten, beim Gericht Besuchsverbot für die Täter durchzusetzen. Müller: „Das geht so weit, daß Frauen geraten wird, dieses Thema bei Scheidungen nicht zu erwähnen.“

Dabei gebe es durchaus Punkte, die diskussionswürdig sind: „Kann sein, daß die Definition von Mißbrauch zu weit gefaßt ist, oder daß zu wenig darüber geredet wird, was ist eigentlich Sexualität von Kindern.“ Daß Panikmache falsch ist, ist für die Beraterinnen ein Selbstgänger. Müller: „Wir raten Pädagogen grundsätzlich zur Ruhe.“

Auch Maria Gerhard, Fachreferentin im Amt für Jugend, konstatiert in Fachkreisen eine „immer differenziertere Diskussion“. Daß bei Diagnosen Fehler gemacht wurden, nicht jede Art der Prävention sinnvoll ist und über die Zahl der Opfer in Deutschland keine empirische Forschung existiert, seien Fragen, „über die eine Fachdiskussion ganz wichtig ist“. Aber keine Schlammschlachten „à la Spiegel“. Gerhard: „Es ist zynisch und dumm, den Beraterinnen zu unterstellen, sie wollten nur ihre Arbeitsplätze sichern – angesichts des Elends, das diese Frauen täglich miterleben.“ Auch sie sieht Gefahren im „Backlash“. Täter werden moralisch entlastet. Berufsgruppen, wie Ärzte und Richter, die schon immer gezweifelt haben, kriegen Aufwind.

Doch inzwischen gelang es Forscherinnen der Uni Münster, dem Backlash mit Empirie zu begegnen. Die Mißbrauch-des-Mißbrauchs-Debatte, so das Fazit von Soziologin Monika Weber, „verzerrt die Realität“. Tatsächlich sei die Gefahr, daß Hilfe im Sand verläuft, viel größer, als daß übereilte Reaktionen erfolgen. Weber hat Jugendamts-Statistiken dreier Kommunen untersucht und herausgefunden, daß auch in aufgedeckten Fällen „eher zu wenig passiert als zuviel“. Das Projekt ist noch nicht beendet, doch ein erster Zwischenbericht hatte zur Folge, daß in Münster die Telefone heiß liefen. So sehr dürsten alle nach Erkenntnis.

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