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„Rückkehr zu den Traditionen“

■ Afghanistans Hauptstadt eine Woche nach der Machtübernahme/ Frauen als erste betroffen — Kleiderordnung und Arbeitsmöglichkeit/ Aktionen gegen Kinos, die indische Filme zeigen

Kabul (dpa/taz) — Als die islamische Regierung vor einer Woche die Macht übernahm, erwartete Najiba Haydar, daß sie künftig ihr Haar mit dem traditionellen Schal bedecken muß, um weiterhin die Nachrichten im Fernsehen der Hauptstadt Kabul vortragen zu können. Ihre Befürchtungen wurden jedoch noch übertroffen: „Die Regierung möchte keine Frauen im Fernsehen und im Rundfunk haben“, teilte der der Direktor der Anstalt seiner Sprecherin mit. Erst nach dem Protest ihrer Kollegen wurde die Anordnung zurückgenommen. Haydar behielt ihren Job.

Die Unentschlossenheit in diesem Fall ist symptomatisch für die Unsicherheit der regierenden Koalition moslemischer Intellektueller, Mudschaheddin-Guerillas und religiöser Führer. Man ist sich nicht sicher, wie das tägliche Leben im Staat aussehen soll. Deutlich aber wird, daß nach 14 Jahren unter den kommunistischen Machthabern Kabul zur islamischen Tradition zurückkehrt.

Nicht nur die Regierung forciert aktiv einige Änderungen, auch Bürger setzen derzeit ohne Aufforderung ihre eigenen Vorstellungen von islamischer Moral durch. Während einige KabulerInnen Angst vor extremen Beschränkungen ihres Lebens haben, kündigen andere an, ihre Lebensweise hauptsächlich symbolisch ändern zu wollen, um der Staatsreligion entgegenzukommen.

An vorrangige Stelle hat die Regierung die Kleiderordnung gesetzt. In den ersten beiden Tagen, in denen Mudschaheddin Kabul kontrollierten, wurde auf den Straßen kaum eine Frau gesehen. Inzwischen trauen sie sich wieder außer Haus — aber überwiegend nur in bodenlangen Kleidern, die außer Händen, Füßen und Gesicht alles bedecken.

Als zwei Ministerinnen der ehemaligen kommunistischen Regierung vergangenen Donnerstag gemeinsam mit ihren männlichen Kollegen Präsident Sibghatullah Mudschaddidi ihren Respekt bezeugen wollten, wurden sie von Helfern zurückgehalten, weil ihre schwarzen Kleider nicht die Fußknöchel bedeckten.

In den Geschäften in Kabul sind Bier und andere Spirituosen verschwunden. Die Inhaber erklärten, sie befürchteten Aktionen der Mudschaheddin, die die Straßen kontrollieren. Auch die Kinos bekamen die neue strenge Moral zu spüren: Wenigstens drei Kinos, in denen Anzeigen indischer Filme aushingen, wurden die Fenster zerschmissen. „Die Vandalen wollten Kinofilme verhindern, die Sex oder auch nur eine unbedeckte Frau zeigen“, sagte der Manager des staatseigenen Zainab- Kinos. Trotzdem unterstützt der Geschäftsmann die neuen Machthaber. „Ich bin ein Moslem, und dies ist nun eine moslemische Regierung.“

Westlicher Einfluß war in Afghanistan erst während des 20. Jahrhunderts zu erkennen gewesen — und das auch nur in Kabul. Die Intellektuellen der Stadt versuchten, die Politik zu liberalisieren, sorgten in den 50er und auch in den 60er Jahren für die Bildung breiter Bevölkerungsteile. Sie wurden schließlich von konservativen Politikern und religiösen Würdenträgern wieder verdrängt.

Das kommunistische Regime, das 1978 die Macht übernahm, sorgte wiederum für einen offiziellen Wertewandel. Der am meisten diskutierteste war die neue Rolle der Frau. Die Gewalt, die das kommunistische Regime vor allem der islamischen Moral antat, war einer der Hauptgründe für den jetzt erfolgten Umsturz.

Haydar sitzt nun mit langem Kleid und bedecktem Haupt im Fernsehstudio. „Es ist nicht wichtig, ob wir die Meldungen in diesen Kleidern oder in europäischen vorlesen“, meint sie. Wenn die Rückkehr zur Tradition helfen werde, den Bürgerkrieg zu beenden, „werde ich das tun, was für den Frieden am wichtigsten ist“. James Rupert

Schwierige Versorgungslage

Die Lage in Kabul ist nach wie vor unübersichtlich. Plünderungen und Brandschatzungen, die nach Meldungen indischer Medien vor allem durch die Angehörigen der Usbekenmilizen des Generals Rashid Dostam verübt würden, gehen weiter. Noch immer funktioniert auch die Versorgung mit Wasser und Strom nicht, berichtet 'dpa‘. Seit zwei Tagen halten offensichtlich die aus der Hauptstadt vertriebenen Mudschaheddin Gulbuddhin Hekmatyars Versorgungskonvois auf, die für die Kabul bestimmt sind. Rund um die Stadt gingen die Kämpfe zwischen rivalisierenden Mudschaheddin-Einheiten weiter.

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