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„Rückfall in die Adenauer-Zeit“

■ Auf ihrer Wahlparty gab es für die Berliner Alternativen nichts zu feiern

Berlin (taz) — „(K)eine Stimme ist umsonst“, hatte die Alternative Liste noch siegessicher plakatiert, und die Plakate zierten auch die Eingänge zu den Räumen, in denen die AL zusammen mit dem Bündnis 90 und den Grünen Ost die Wahl feiern wollte. Von Feierstimmung war nach den ersten niederschmetternden Prognosen am Sonntag abend wenig zu spüren — wenigstens auf seiten der Westler. „Das ist der Rückfall in die Adenauer- Zeit“, stöhnte ein Ex-Abgeordneter, der den Sprung ins Parlament nicht schaffen wird. Der Kummer wurde in billigem Sekt und Rotwein ertränkt, während über eine Großleinwand die aktuellen Wahlsendungen übertragen wurden. Die Feindbilder waren wieder so einfach zu bestimmen wie früher: Eberhard und Helmut, Hans- Jochen und Walter wurden ausgebuht und ausgepfiffen, und außer für die eigenen Reihen gab es nur bei der PDS Beifall. Während die künftigen Fraktionskollegen der Ostberliner Bürgerbewegungen sich über ihr vergleichsweise gutes Abschneiden freuten, mußten die ALer erst einmal wie die Bundesgrünen zittern, ob sie nicht doch noch an der Sperrklausel scheitern würden. „Mehr konnten wir realistischerweise nicht erwarten“, beschrieb Uwe Lehmann, Ex-Stadtverordneter und künftiger Abgeordneter, die Gefühlslage der Ostler. Die AL-Parteiprominenz saß währenddessen in einem Büro im Reichstag. Schon kurz nach 18 Uhr gefroren dort die Mienen: Für Oberrealo Bernd Köppl etwa schien die politische Karriere zunächst beendet, denn er stand nur auf Platz zwölf der AL-Liste — und nur zehn schafften auf Anhieb den Einzug ins Abgeordnetenhaus.

Die Ursachen für das Ergebnis liegen für Köppl klar auf der Hand: Der größte Fehler sei der Ausstieg der Alternativen nach den Räumungen in der Ostberliner Mainzer Straße gewesen. „Ein größeres Wahlgeschenk konnten wir der CDU nicht machen.“ Auch Ex-Umweltsenatorin Michaele Schreyer, die beim Ausstieg noch gehofft hatte, dieses Amt bald wieder bekleiden zu können, mußte sich von ihren Träumen verabschieden. Heftig wurde am Tisch der ALerInnen über die Ursachen des Ergebnisses spekuliert. „Wo sind nur die linken Wähler geblieben“, war die zentrale Frage des Abends — beantworten konnte sie keiner. Nur an einer Erkenntnis konnten selbst die hartgesottensten Funktionäre nicht vorbei: Fraktionäre und Parteivorstand sind mittlerweile Lichtjahre von ihrem sogenannten Wahlvolk entfernt, das entweder gar nicht oder PDS und SPD gewählt hat. Kordula Doerfler

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