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Rudolf, der rotnasige Taxifahrer Von Ralf Sotscheck

Was haben Sie über die Festtage gemacht? In Dublin feierte man auf traditionelle Art – in langen Schlangen am Taxihalteplatz. Taxis sind ohnehin eine seltene Spezies in der irischen Hauptstadt, doch zum Jahresende sind sie fast ausgestorben. Das ist besonders ärgerlich, weil Weihnachten und Neujahr kein einziges öffentliches Verkehrsmittel unterwegs ist.

Wir standen in diesem Jahr zwei Stunden in der O'Connell Street, ein hübsch gelegener Taxihalteplatz unter weihnachtlich dekorierten Bäumen. Vor uns eine schlechtgelaunte Mutter, bepackt mit Kind und einer erstaunlichen Anzahl von Plastiktüten. „Ich sehe ein Taxi“, brüllte der Kleine auf einmal, und gut 200 Köpfe drehten sich in die Richtung, in die er zeigte. „Letzte Nacht will er Rudolf gesehen haben, das rotnasige Rentier des Weihnachtsmannes“, erklärte die Mutter entschuldigend und zog dem Balg die Ohren lang.

Dublin ist die Stadt mit der geringsten Taxidichte Europas, gerade mal 2.400 Stück sind in der Millionenstadt zugelassen, und damit das so bleibt, haben sich die Inhaber der Taxilizenzen zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen. Solch eine Lizenz hat einen Marktwert von umgerechnet 200.000 Mark, selbst die Miete kostet 750 Mark die Woche. Der pensionierte Buchmacher Terry Rogers besitzt Lizenzen im Wert von drei Millionen Mark – „für die Enkelkinder“.

Die Pläne der Stadtverwaltung, den Markt zu deregulieren, gefährdet die Zukunft der Taxi-Enkel und stößt bei den Lizenzhamstern auf erbitterten Widerstand: Wenn neue Lizenzen ausgegeben werden, dann müsse man für den Wertverfall entschädigt werden! Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, demonstrieren sie hin und wieder mit einem Taxikorso durch die Innenstadt – ein erhebender Anblick, kommen die Droschken in freier Wildbahn doch höchstens vereinzelt vor.

Die Taxifahrer, die an den Feiertagen arbeiteten, konnten sich nicht beklagen. Wie jedes Jahr zu Weihnachten blies die Polizei zur „Operation Freeflow“, was bedeutete, daß sie auf die Einhaltung der Verkehrsregeln pochte. Wer falsch parkte, wurde gnadenlos abgeschleppt, Schupos hielten die Kreuzungen frei, und eine Hundertschaft bewachte die Busspuren, so daß kein Privatfahrzeug darauf fahren konnte – freilich auch kein Bus, denn die verkehrten Weihnachten ja nicht. Für die Autos lief es aber wie am Schnürchen, alle lobten den Einsatz der Polizei, mit dem es allerdings zu Neujahr wieder vorbei war, und Dublin kehrte wieder zum alten Chaos zurück. Nun freuen sich die Autofahrer auf nächstes Weihnachten.

Zur „Operation Freeflow“ gehörten auch Alkoholkontrollen, denn der „Freeflow“ galt nicht für die Kehlen der Autofahrer. Wer also einen heben wollte, war auf ein Taxi angewiesen. Im nächsten Jahr wollen wir den Halteplatz vor der Universität ausprobieren, dort soll gegen Mitternacht Glühwein serviert werden. Außerdem lernt man in der Taxischlange nette Leute kennen. Das junge Pärchen hinter uns z.B. haben wir zu unserem Silvesterfest eingeladen, weil wir wissen wollten, wie es ihnen nach unserer unerwarteten Abfahrt ergangen war. Sie haben dann bei uns übernachtet, denn ein Taxi zu Silvester ist so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto.

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