berliner szenen: Rubbeln statt Lotto
152 gewinnt
Neulich im Leben: Vorm BVG-Shop zwei von Arbeit, Durst und Schlüsselkindjugend arg zerbeulte Gestalten, die ganz offensichtlich in Überlegungen verstrickt waren. Sie schritten auf und ab und schüttelten die Köpfe. Sie zählten etwas an ihren Fingern ab, stritten sich ums Ergebnis und traten dabei ganz nebenhin nach ihrem kläffenden Hund.
Das erschien mir nichts Ungewöhnliches, nur ging die Rede diesmal weder von Pamela Anderson noch von Autos. Es ging klar um Mathematik. Ich machte mir keine Gedanken und ging in den Laden. An der Kasse traf ich sie wieder, und obschon sie sich schubsten und die Ellenbogen in die Taillen rammten, schienen sie zu einem Ergebnis gekommen zu sein und sich nur aus Ungeduld zu prügeln, denn eine ältere Frau war noch vor ihnen an der Reihe und kramte umständlich in ihrem Portemonnaie herum.
Dann aber waren die beiden an der Reihe. Sie legten nichts auf den Tresen, ließen sich von der Kassiererin eine Triumphminute lang bestaunen, um dann mit Inbrunst zu fordern: „152 Rubellose, bitte.“ Die Kassiererin sah sie an. Die beiden hielten stand. „Da können wir diesmal nur mit gewinnen“, verkündete der eine, alldieweil der andere einstimmte: „Hamwa jenau ausgerechnet!“ Ohne viel Zögern gab die Verkäuferin die Lose heraus, kassierte und ließ die beiden ziehen. Dann wandte sie sich mir zu, sah meine Verwirrung, zuckte mit den Schultern und sagte: „Ach, die komm jedn Monat mal, nur die Zahl is immer anders.“ Vor dem Laden dann sah ich sie Los um Los aufreißen. „Diesma klapp’s!“ meinte der eine, und der andere stimmte zu und riss verbissen weiter. JÖRG SUNDERMEIER
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