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Rot-grüne Streicheleinheiten in Niedersachsen

Hauptkennzeichen der ersten vier rot-grünen Monate: Harmonie/ Die „persönliche Chemie“ der Koalitionspartner stimmt  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Daß durch das Ende der Berliner AL/SPD-Koalition auch dem bald letzten rot-grünen Bündnis — in Niedersachsen — Gefahren drohen könnten, das weisen in Hannover Sozialdemokraten wie Grüne weit von sich. Man betont die Unterschiede. „In Niedersachsen hat es von Anfang an eine andere Art von Kofliktbewältigung zwischen den Koalitionspartnern gegeben“, sagt etwa der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Johann Bruns. Während Bürgermeister Walter Momper alle Konflikte zwischen den Koalitionspartnern öffentlich und damit auch zu öffentlichen Konflikten gemacht habe, sorge Ministerpräsident Gerhard Schröder immer dafür, daß mögliche Konflikte frühzeitig in den Koalitionsfraktionen und im Kabinett diskutiert würden, beschreibt der SPD-Landesvorsitzende den rot-grünen Einigungswillen in Niedersachsen. Außerdem stimmt für ihn „die persönliche Chemie“ zwischen den Koalitionspartnern. Das bestätigt auch die grüne Fraktionsvorsitzende Thea Dückert: „Hier bei uns geht es eben nicht permanent darum, den anderen über den Tisch zu ziehen.“

In der Tat waren die ersten vier Monate der neuen Landesregierung in Niedersachsen richtig arm an den gewohnten rot-grünen Auseinandersetzungen. Einvernehmliche Verfahren fanden beide Partner selbst für so strittige Punkte wie die Zustimmung Niedersachsens zum Einigungsvertrag.

Im ganzen gesehen ist die neue Landesregierung allerdings bisher gerade in den Bereichen, in denen die rot-grünen Akzente gesetzt werden sollen, über die Vorbereitung einer anderen Politik kaum hinausgekommen. Das neugeschaffene Frauenministerium hat etwa erst in der vergangenen Woche eine Unterkunft gefunden. Immerhin beschäftigte das Frauenministerium (mit 30 Mitarbeiterinnen) jetzt ein paar Wochen zwei Juristinnen, die sich mit der Vorbereitung des Antidiskriminierungsgesetzes bzw. den Möglichkeiten des ambulanten Schwangerschaftsabbruches in Niedersachsen befaßten. Bei der Aufstellung des Landeshaushalts 1991 hat allerdings Frauenministerin Waltraud Schoppe mächtig zurückstecken müssen: Statt neunzig Mitarbeiterinnen hat ihr das Landeskabinett nur sechzig Stellen zugebilligt.

Als die immer noch parteilose Umweltministerin Monika Griefahn in der letzten Woche eine erste Bilanz ihrer Regierungstätigkeit zog, stellte auch sie ein zukünftiges Projekt, den Start in eine ökologische Abfallwirtschaft, heraus. Auch ihr Ministerium hat bisher vor allem Pläne der alten CDU/FDP-Landesregierung gestoppt. So zum Beispiel das Großprojekt zur Einlagerung von Giftmüll in Salzkavernen in Ostfriesland. Immerhin noch in diesem Jahr will die Umweltministerin den Entwurf eines Landesabfallgesetzes fertighaben, der die niedersächsischen Kommunen zur getrennten Sammlung und Verwertung von Müll verpflichten soll.

„Im Bereich Atomenergie“, so sieht es auch Monika Griefahn, hat die rot-grüne Landesregierung allerdings „noch nichts geschafft von all dem, was die rot-grüne Koalitionsvereinbarung an Ausstiegsplänen ankündigt“. Die Atomabteilung im Umweltministerium wird immer noch von dem gleichen, der Kernenergie aufgeschlossenen Beamten geleitet wie unter der CDU-Regierung. Anders als die Umweltministerin, sieht der Atomexperte der grünen Landtagsfraktion Hannes Kempmann zumindest in dem Teilbaustopp für das Gorlebener Endlagerbergwerk einen sehr wichtigen ersten Schritt.

Allerdings hatte die Landesregierung auch diesen Baustopp nicht etwa geplant, sondern war in ihn über eine versehentliche Genehmigung hineingeschlittert. Zunächst stinkend sauer war der grüne Atomexperte Hannes Kempmann, als er erfuhr, daß der SPD-Wirtschaftsminister Peter Fischer per Hauptbetriebsplan die Fertigstellung des Endlagerschachtes II in Gorleben erlaubt hatte. Doch auch dieser Verstoß gegen die rot-grüne Vereinbarung reichte keineswegs für einem Koalitionskrach. Hinterher stellte sich heraus, daß auch der grüne Staatssekretär im Umweltministerium, Peter Bulle, von dieser Genehmigung, die anschließend wieder ausgesetzt und so in einen Teilbaustopp verwandelt wurde, schon am Tag der Erteilung Kenntnis hatte — ohne sofort Alarm zu schlagen. Als das Landeskabinett sich erstmals mit dem genehmigten Hauptbetriebsplan befaßte, rätselten Sozialdemokraten wie grüne Minister gleichermaßen so sehr über dessen Bedeutung, daß erst aus der Grünen-Landtagsfraktion in die Staatskanzlei beförderte Gorleben-Unterlagen für die nötige Aufklärung sorgen konnten.

Bei einer solchen Gleichverteilung des Unwissens blieb denn auch das vielgelobte „sehr gute rot-grüne Koalitionsklima“ von dem Knatsch um das Gorlebener Endlager unbeeinflußt. „Es werden zwar Fehler gemacht, aber keiner versucht, den anderen zu übervorteilen“, sagt auch der Landtagsabgeordnete Hannes Kempmann. Probleme für niedersachsens Rot-Grün könne höchstens ein Wechsel in der politischen Großwetterlage, Druck aus Bonn auf die niedersächsische SPD, bereiten, sagt sie und verweist darauf, daß „auch die SPD-regierten Bundesländer schon jetzt unser rot-grünes Atomausstiegskonzept torpedieren“. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Johann Bruns hingegen kann sich rot-grünen Streit in Hannover erst dann vorstellen, wenn sich die „konstruktive Politik nicht in Umfrageergebnissen auszahlt“.

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