Rot-Rot-Grün oder Jamaika?: Shakespeare an der Saar
Das Linksbündnis im Saarland könnte an persönlichen Animositäten der Akteure scheitern. Über linke Helden und grüne Schurken - oder umgekehrt?
"Zweifel sind Verräter. Sie rauben uns, was wir gewinnen könnten, wenn wir nur einen Versuch wagten" (William Shakespeare). Tatsächlich ist das Wahlvolk an der Saar nach der Landtagswahl vor gut zwei Wochen das Publikum in einem Königsmacherdrama. Protagonist ist der wegen einer mutmaßlichen Causa criminalis lange verfemte Landespartei- und Landtagsfraktionsvorsitzende der Saar-Grünen, der 51 Jahre alte Hubert Ulrich.
Die vor zwei Jahren von den Grünen zur Linken übergelaufenen neuen Landtagsabgeordneten Barbara Spaniol und Ralf Georgi seien "fremdgesteuert" und eine Gefahr, hatte Hubert Ulrich verlauten lassen. Daher forderte Ulrich den Spitzenkandidaten der Linken, Bundesparteichef Oskar Lafontaine, auf, "dieses Problem" aus der Welt zu schaffen. "Wahlkampfgetöse im Nachhinein", nannte das der Linksparteichef von der Saar, Rolf Linsler.
Nun scheint Jamaika, das CDU-FDP-Grünen-Bündnis, wieder eine Variante zu sein. Entschieden wird die Sache erst nach der Bundestagswahl. CDU und FDP locken die Grünen. So soll der FDP-Generalsekretär an der Saar, Jorgo Chatzimarkakis, den Grünen bereits ein Superministerium mit den Bereichen Umwelt, Energie, Gesundheit, Verbraucherschutz und Landwirtschaft angeboten haben. Der FDP-Parteichef Christoph Hartmann ließ außerdem verlauten, dass man bereit sei, etwa bei den Studiengebühren und auch beim Nichtraucherschutz auf die Forderungen der Grünen einzugehen.
Fast alles sei verhandelbar, heißt es auch bei der Union - bis auf das Amt des Ministerpräsidenten. Generalsekretär Toscani sagte: "Peter Müller bleibt auf alle Fälle - auch bei einer großen Koalition - unser Regierungschef!" Scheitert das Linksbündnis an der Saar an persönlichen Befindlichkeiten? Vor allem der 47 Jahre alten Barbara Spaniol hat Grünenchef Ulrich den Wechsel zur Linken offenbar nie verziehen - sie behielt nämlich ihr Landtagsmandat. Die Linke hatte damit eine Landtagsabgeordnete, und die Grünen-Fraktion war auf zwei Mitglieder geschrumpft.
Im Wahlkreis Neunkirchen wurden Barbara Spaniol und der gleichfalls von Ulrich indirekt attackierte Ralf Georgi vor der Landtagswahl auf die sicheren ersten beiden Listenplätze der Linken gewählt. Danach behaupteten fünf Linke aus dem Kreisverband Saarpfalz, dass sich Spaniol und Georgi ihre Listenplätze mit unlauteren Mitteln verschafft hätten.
Jetzt fechten sie das Ergebnis an. Auf dem damaligen Parteitag am 18. Mai 2009 sei nicht nur die Pflicht zur geheimen Wahl der Kandidaten verletzt worden, es hätten auch "nicht stimmberechtigte Mitglieder der Linken aus Rheinland-Pfalz und Nichtmitglieder" teilgenommen, behauptet etwa Ralf Berberich gegenüber der taz.
Berberich war bis Mitte 2007 Chef der Linken im Kreisverband Saarpfalz. Zudem kündigte der Rechtsvertreter der Opponenten bei der Linken, der saarländische Verfassungsrichter Hans-Georg Warken (CDU), die Vorlage einer eidesstattlichen Erklärung über wenigstens einen "versuchten Stimmenkauf" auf diesem Parteitag an.
Zuvor schon hatte Berberich seiner Kontrahentin Spaniol vorgeworfen, nach ihrem Übertritt zur Linken beim damaligen Kreisvorstand rund ein Dutzend Beitrittserklärungen zur Linken eingereicht zu haben, die "auf Urkundenfälschung schließen lassen". Das Bundesschiedsgericht der Linken wurde angerufen. Berberich zeigte Spaniol an, und die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Das wurde allerdings inzwischen - sehr zur Verwunderung von Berberich - eingestellt. Der neue Kreisvorstand, jetzt mit Barbara Spaniol an der Spitze, habe plausible Erklärungen für einige tatsächlich etwas von der Norm abweichende Eintrittserklärungen gehabt, die eine Einstellung gerechtfertigt hätten, hieß es seinerzeit vonseiten der Ermittlungsbehörde.
Der Chef des Linken-Ortsverbandes Homburg, Dirk Müller, der auch auf dem Parteitag anwesend war, erklärte jetzt, dass die Vorwürfe "alle aus der Luft gegriffen" und die Wahlen "korrekt abgelaufen" seien. Linksparteichef Linsler sprach von "Kinderkrankheiten" und davon, dass der Landesvorstand im Kreisverband Saarpfalz "alles überprüft" und festgestellt habe, dass es "zu keinen Unregelmäßigkeiten gekommen" sei.
Tatsächlich hatte der Landesvorstand alle Stimmzettel noch einmal öffnen lassen. Bei der Prüfung hätten sich keine Abweichungen von den protokollierten Stimmen ergeben, auch nicht bei Spaniol und Georgi. Berberich dagegen sagt, dass die damals protokollierten Stimmen doch "erheblich" von denen bei der Nachzählung ermittelten abwichen und dass er dafür "Beweismaterial" habe.
Barbara Spaniol war auf Anfrage der taz nicht bereit, sich zu den Vorwürfen von Berberich und den anderen "Dissidenten" bei den Saar-Linken zu äußern. Sie bat Parteichef Linsler, in ihrem Namen eine Stellungnahme abzugeben. In dessen Namen erklärte Parteisprecherin Birgit Huonker, die ebenfalls in den Landtag gewählt wurde, dass die Sache für die Saar-Linke "erledigt" sei und dass die Abgeordneten Spaniol und Georgi "ordnungsgemäß in den Landtag gewählt" worden seien. Auch wenn Ulrich Oskar Lafontaine jetzt ultimativ aufgefordert habe, "das Problem" aus der Welt zu schaffen, sehe man "keinen Handlungsbedarf", betonte Huonker.
Für den Drahtzieher hinter "dem ganzen Irrsinn", so ein Grüner auch aus dem Kreisverband Saarpfalz, der "lieber anonym bleiben" möchte, halten die Grünen um Ulrich den Mann von Barbara Spaniol, den 49-jährigen Arzt und Ex-Grünen Andreas Pollak.
Pollak wird sich wohl noch in diesem Jahr wegen "gewerbsmäßigen Betrugs und Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug" und der "Abfassung unrichtiger Gesundheitszeugnisse", wie es in der Anklageschrift heißt, vor Gericht verantworten müssen. Die Grünen um Hubert Ulrich befürchten, dass Pollak, der einmal der Freund von Ulrich war und mit ihm im Landtag saß, vielleicht sogar bald "aus dem Knast heraus und über seine Frau und Georgi" Einfluss auf die Regierung nehmen könnte - falls es zu einer rot-rot-grünen Koalition kommen sollte.
In einem Telefonat mit der taz bestreitet Pollak das. Er sei, sagt er, an Parteipolitik nicht mehr interessiert. Und dass er seine Frau zu Parteiveranstaltungen begleite, liege allein daran, dass er sich dort um das gemeinsame Kind kümmere. Darüber hinaus lehnte er es ab, sich zu den Vorwürfen und Vorhaltungen zu äußern. Er sei "keine Person der Zeitgeschichte". Ein verabredetes Treffen sagt er am Abend zuvor ab.
Eine Vergangenheit hat er trotzdem - eine Gegenwart auch. Pollak, der selbst (noch) kein Mitglied der Linken ist, ist inzwischen zum Sprengstoff für die anvisierte rot-rot-grüne Koalition geworden. Eine Ladung Dynamit war er früher schon bei den Grünen. Zunächst mit Ulrich eng liiert - beide beherrschten mit ihren Ortsvereinen Saarlouis und Homburg die Partei -, kam es 1997 zum Bruch. Pollak hatte bei seiner Bewerbung um einen sicheren Listenplatz für die Landtagswahl 1994 verschwiegen, dass er vorbestraft ist. Als er dann als Abgeordneter in einem Baumarkt beim versuchten Diebstahl von Badematten ertappt wurde, geriet die Partei in Verruf. Ulrich ließ Pollak fallen. Nach einem Deal zwischen der Staatsanwaltschaft und seinen Anwälten zahlte Pollak 10.000 D-Mark Buße. Das Verfahren wurde eingestellt, und Pollak durfte sein Mandat behalten.
Später, auf einer Delegiertenversammlung der Grünen, verteilten plötzlich Parteigänger von Pollak Flugblätter zu den "dubiosen Autogeschäften des Herrn Ulrich". Der Vorwurf: Ulrich habe mit Preisnachlässen für Landtagsabgeordnete erworbene Autos zum Listenpreis weiterverkauft. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren ein, und Hubert Ulrich trat von allen seinen Ämtern zurück. Zudem wurden bei den Grünen Zweifel an den hohen Mitgliederzahlen laut, sowohl in Saarlouis, wo Hubert Ulrich Vorsitzender ist, als auch im Kreisverband Saarpfalz von Pollak/Spaniol.
Vor allem die Grünen-Europaabgeordnete Hiltrud Breyer erhob entsprechende Vorwürfe. Heute werden sie wiederholt. Und die Adressaten sind wieder die ehemalige Grüne Barbara Spaniol und ihr ehemals "grüner" Mann Andreas Pollak als "Politikberater". Geschichte wiederholt sich nicht - und wenn doch, als Farce.
Wegen tatsächlicher und mutmaßlicher Skandale flogen die Grünen 1999 aus dem saarländischen Landtag. Der Grünen-Bundesvorstand griff später ein. Die Mitgliederzahlen in Homburg und in Saarlouis wurden nach unten korrigiert. Da war Hubert Ulrich längst rehabilitiert. Die Staatsanwaltschaft hatte nach zwei Jahren die Ermittlungen eingestellt. Ulrich feierte sein Comeback als Parteichef und dann als Landtagsabgeordneter. Jetzt ist er Königsmacher.
Und nun vielleicht doch die Flucht nach Jamaika - vor Pollak und seinem Einfluss auf die Linke? Ulrich weiß, wie Pollak tickt. Er droht, das rot-rot-grüne Projekt in die Luft zu sprengen. Und was sagt SPD-Chef Heiko Maas dazu? Bislang nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn