■ Kommentar: Rollenspiele
Der Verdruß an der Politik wächst auch deshalb, weil drängende Probleme nicht angegangen werden, statt dessen oft genug nur Nebelkerzen gezündet und hitzige Gefechte auf abseitigen Feldern inszeniert werden. Zur Verdrossenheit trägt auch die ritualisierte Form der politischen Auseinandersetzung bei, bei der jedes Lager am Ende mit dem von vornherein angestrebten Ergebnis dasteht. Nur die Öffentlichkeit ist danach nicht schlauer als zuvor und fühlt sich verschaukelt.
Ein Musterbeispiel politischen Rollenspiels konnte am Dienstag abend in Prenzlauer Berg verfolgt werden. In den tragenden Rollen: Innensenator Jörg Schönbohm und das selbsternannte Volk vom Prenzlberg. Der Innensenator hat mehrfach bewiesen, daß er im Bedarfsfall bereit ist, mit der Brechstange an der Verfassung herumzuhebeln. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Heckelmann aber muß man dem Exgeneral zugute halten, daß er keinem Gespräch mit politischen Gegnern ausweicht. Daran aber lag wiederum den Leuten überhaupt nicht, die in Prenzlauer Berg in die CDU-Veranstaltung drängten und scheinheilig Öffentlichkeit reklamierten. Für sie ging es lediglich um die Bestätigung ihrer eigenen Ressentiments und um die linke Lufthoheit über ihren Stammtischen.
Es gibt genügend Gründe, gegen Schönbohm zu demonstrieren; niemand aber hat das Recht, Debatten zu verbieten und dies auch noch als politische Kultur auszugeben. Wohin das führt, hat man vor einigen Jahren in Kreuzberg studieren können. Ergebnis am Dienstag abend: Beide Seiten dürfen sich bestätigt fühlen. Christdemokrat Schönbohm kann mit einiger Berechtigung seine Gegner als undemokratischen Mob vorführen, und die Demonstranten können einen zweifelhaften Sieg feiern: Schönbohm, raus aus Prenzlberg. Öder als dieses Schmierentheater kann die große Politik auch nicht sein. Gerd Nowakowski
Bericht Seite 28
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