■ Standbild: Rollenknechte
„Willemsen“, Donnerstag, Premiere, 21.50 Uhr
Edeltalker Roger Willemsen, der neben rhetorischen Bluthunden und kaltschnäuzigen Saalschlachtern wie Olaf Kracht („Heißer Stuhl“) und Ulrich Meyer („Einspruch“) eher fürs feinsinnige Zwiegespräch mit japanischen Menschenfressern und unschuldigen Todessträflingen steht, startete seine Premieren-Sendung mit dem derzeit wohl heißbegehrtesten Interview-Gast: dem demissionierten Kanzlerkandidaten und Soft- Sozi Engholm. Doch der vermeintliche Coup enttäuschte. Willemsen fiel nichts Besseres ein, als Engholm penetrant nach den wahren Hintergründen seines Rücktritts und weiteren Details aus dem Kieler Sumpf zu befragen. Mit süffisant gespitztem Schmunzel-Mündchen und insinuierendem Flüsterdiskant rückte er dem SPD-Mann zu Leibe: „Waren Sie nervös? Wie haben sie sich gefühlt? Wo waren Sie vor ihrer Erklärung? ...“ Derartig bedrängt, produzierte Engholm abermals nichts anderes als seine sattsam bekannte Bekenntnislyrik zwischen Politikermoral und Kulturbeflissenheit. Tenor: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen, ich habe niemandem geschadet, ich lese gelegentlich ein gutes Buch und treffe mich gerne mit Künstlern.“ Dabei fiel ihm Willemsen ständig ins Wort. Spulte seinen Fragenkatalog ab und nötigte Engholm seine Gesprächsdramaturgie auf. In der ganzen Stunde gab es keinen Moment der Stille, nie schweifte die Rede, kein Nachdenken, kein Einlassen, kein Gefühl. Wo der eine nicht zuhören konnte, hatte der andere nichts zu sagen. Und so unsäglich die Gesprächsführung, so unerträglich die visuelle Aufbereitung: durch die herbeigestylte Kellerromantik des Designer-Studios pflügten gleich mehrere Steadycams auf der Suche nach den entlegensten Blickwinkeln. Offenbar vertraute man bei Willemsen schon im vorhinein nicht auf die Kraft des Worts und baute statt dessen auf den Sog einer manierierten Optik. An der Wand hing– nein, wie hintersinnig – Magrittes Pfeifen- Bild. Zusätzlich bemühte Willemsen ein Arsenal von aufgeständerten Zeitungsausschnitten und Diaprojektionen, um sein Gegenüber zu bearbeiten. Irgendwann wünschte man den Schluß. Forget Willemsen, forget Engholm. Was sich Schirm begegnete, waren nicht Individuen, sondern zwei Knechte ihrer Rollen: der in zweifelhaften Ehren gefallene Politiker und der zweifellos überschätzte TV-Talker. Martin Muser
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