Robert Habeck über Klimapolitik und Krieg: „Lassen wir das Rumnölen!“

Die Räumung von Lützerath sei richtig gewesen. Warum er der Klima­bewegung trotzdem dankbar ist, sagt Vizekanzler Robert Habeck im taz-Gespräch.

Robert Habeck sitzt auf Treppenstufen

„Kohle für Stromerzeugung ist eine klimapolitische Sünde“, sagt Robert Habeck Foto: Sophie Kirchner

wochentaz: Luisa Neubauer spricht wegen der Räumung von Lützerath und angesichts der LNG-Terminals von einer Re-Fossilisierung deutscher Energiepolitik. Was ist das Gegenargument, Herr Habeck?

Robert Habeck: Das Gegenargument ist, dass Putin die Gaslieferungen nach Deutschland gestoppt hat, wir damit die Hälfte des Gases zur Versorgung verloren haben und schmerzhafte Entscheidungen treffen mussten, um eine Notlage zu verhindern. Wir haben aktuell 8,8 Gigawatt Kohlekraftwerke mehr am Netz als ursprünglich vorgesehen. Den Kohlestrom setzen wir ein, um Gas zu sparen. Der klimapolitische Gau wäre, wenn wir nach dem nächsten Winter sagen müssten: Wir müssen diese Kohlekraftwerke doch noch länger laufen lassen, weil wir uns nicht um eine ausreichende Versorgung mit Gas gekümmert haben. Kohle für Stromerzeugung ist eine klimapolitische Sünde. Um die nicht weiter zu begehen, brauchen wir derzeit noch Gas.

ist Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.

Man sieht Sie jetzt dauernd bei Einweihungen von LNG-Terminals, wo verflüssigtes fossiles Gas gelagert und weiterverteilt wird. Wäre mehr persönliche Zurückhaltung nicht angebracht?

Ohne jemandem zu nahe zu treten: Es spricht ganz schön viel Vergessen aus dieser Haltung. Eine Gasmangellage – und mit ihr schwere Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft – ist eine ernsthafte Gefahr. Das, was wir jetzt erreicht haben – Unabhängigkeit von russischem Gas, volle Gasspeicher, wieder gesunkene Preise – ist kein selbstverständlicher Zustand. Die Gasspeicher sind nur voll, weil wir gehandelt haben. Weil wir die Gesetze geschrieben und uns um Ersatz gekümmert haben. Weil wir Gasimporteure vor dem Zusammenbruch bewahrt haben. Und weil viel Geld dafür ausgegeben haben.

Wie viel Geld?

Viele Milliarden. Die waren notwendig, um eine tiefe Krise abzuwenden. Allein für die Uniper-Rettung und dann die Übernahme des Konzerns haben wir rund 30 Milliarden bereitgestellt. Ob wir das am Ende alles brauchen, wissen wir nicht, aber sie als Sicherheit bereitzustellen, war nötig. Sonst wären hunderte Stadtwerke in Gefahr geraten und damit die Versorgung der Haushalte.

Fühlen Sie sich von Neubauer und der Klimabewegung unverstanden?

Nein. Wir brauchen Protest. Die Klimabewegung und gerade Fridays for Future haben die Klimapolitik ganz oben auf die Agenda in Deutschland gebracht. Das war eine große Leistung. Dafür bin dankbar.

Sie sprechen sehr nett über die Klimabewegung.

Nett wäre paternalistisch. Es geht mir um das gegenseitige Verständnis der unterschiedlichen Rollen. Eine Protestbewegung darf sich auf das Dagegen konzentrieren und muss mehr fordern, als der Status quo ist. Sie muss kritisieren, antreiben. Und sie muss Aufmerksamkeit schaffen. Das ist sinnvoll. Meine Rolle ist eine andere. Da geht es darum, Entscheidungen und Gesetze in Regierung und Parlament durchzusetzen, Alternativen zu schaffen, ja, auch Kompromisse einzugehen. Und ich muss die Energiesicherheit gewährleisten.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Kritik an der LNG-Infrastruktur zielt darauf, dass nach dem Ende des Energiemangels sehr viel fossiles Gas genutzt werden könnte, einfach weil es zur Verfügung steht – und zwar auf Kosten der Erneuerbaren.

Die Gefahr sehe ich nicht. Erstens: Unser politisches Handeln zielt ja voll auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. Schneller und mehr – daran arbeiten wir. Wir haben durchgesetzt, dass die Erneuerbaren europaweit im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen. Zweitens: Der Energiemangel geht nur vorbei durch Infrastruktur, die wir bauen. Wir kommen durch diesen Winter, weil wir anfangs noch russisches Gas hatten, weil wir jetzt LNG-Terminals in Betrieb nehmen und weil wir aus Norwegen und den Benelux-Staaten mehr Gas bekommen haben.

Andersrum gilt, dass die Versorgung der südöstlichen Nachbarn auch durch Deutschland erfolgt, inklusive eines Teils der Ukraine. Aktuell sind wir Transitland, künftig können wir über die schwimmenden Terminals aber auch Lieferungen für unsere Nachbarn ermöglichen. Wenn wir nur den nationalen Blick haben, machen wir also einen doppelten Fehler. Wir dürfen nicht verkennen, dass die anderen Länder uns versorgen, und nicht verkennen, dass durch uns auch andere Länder versorgt werden müssen.

Sie sagen es: EU-Länder waren in der Energienot solidarisch mit Deutschland, haben aber den Eindruck, dass Deutschland nicht so solidarisch ist – etwa wie es sein Gas in der Welt zusammengekauft hat. Ist es naiv, dass man das zusammen macht?

Das geht und das ist vereinbart worden. Richtig ist aber, dass Deutschland in der Vergangenheit sehr viele seiner Gaseinkäufe in Russland getätigt hat. Deutschland hat Nord Stream 1 und dann auch noch 2 gebaut. Die deutsche Energiepolitik hat lange die Warnungen – gerade von Polen und den baltischen Ländern – komplett ignoriert. Hauptsache, Gas aus Russland war billig.

Die Vorgängerregierungen haben es trotzdem gemacht.

Ja, und es ist schiefgegangen. Das war ein Grund für die hohen Gaspreise, auch in Ländern, die gar kein Gas oder nicht viel aus Russland bekommen haben. Dass andere europäische Länder deshalb zornig sind, kann ich verstehen.

Was folgt daraus für Sie?

Ich sehe die Fehler des letzten Jahrzehnts und bin deshalb der Meinung, Deutschland muss im Zweifelsfall immer ein Stückchen mehr geben. Es ist jetzt unsere Aufgabe, dienend Europa zusammenzuführen.

Gilt dieses Motto „immer ein Stückchen mehr“ auch in der Frage deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine? Oder ist mit dem Kampfpanzer Leopard 2 nun Schluss?

Putin hat mit der europäischen Nachkriegsordnung gebrochen und einen souveränen Staat überfallen – hier, in Europa. Ich halte es für notwendig, die Ukraine bei ihrer Selbstverteidigung zu unterstützen. Putin und sein Imperialismus dürfen nicht siegen. Wir haben deshalb die Unterstützung immer wieder angepasst und werden sie sicher immer wieder überprüfen. Es gilt aber weiter: Deutschland ist keine Kriegspartei und wird es nicht werden. Das ist die Grenze.

Grüne und FDP mussten den Kanzler wochenlang drängen. Warum handeln Scholz und die SPD immer erst nach langem Zögern?

Wir haben mit der Lieferung von Kampfpanzern jetzt eine große Entscheidung getroffen, die der Ukraine helfen wird. Aber das ist kein Grund zum Jubeln. Es ist eine Entscheidung, die man gut abwägen musste. Jede Leichtigkeit ist fehl am Platz.

Als Alternative zur militärischen Verteidigung der Ukraine gegen den Aggressor Russland werden gern „Verhandlungen“ beschworen. Unter welchen Umständen könnte es aus ihrer Sicht dazu kommen?

Mit Verlaub, Russland hat die Ukraine angegriffen, mit Panzern, Raketen. Es hat Städte und Dörfer besetzt, Männer, Frauen und Kinder werden getötet, gefoltert, verschleppt. Die russische Armee zerstört gezielt Wasserversorgung und Stromversorgung. Wer eine Alternative zur militärischen Verteidigung der Ukraine will, verlangt, dass sie sich von Putins Russland niederrennen lässt. Das gesagt: Glauben Sie mir, es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht wünsche, dass der Krieg ein Ende hat. Aber für Verhandlungen muss die Ukraine in eine militärische Situation kommen, die ihr erlaubt, ihre territoriale Integrität wiederherzustellen.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wo steht die Energiewende in Deutschland heute?

Bei vier.

Wo steht Deutschland, wenn die Legislaturperiode zu Ende ist?

Bei sechs. Acht ist 2030 und 9,5 ist 2040 erreicht. 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Die Vorgaben sehen vor, dass wir bis 2040 die CO2-Emissionen um 88 Prozent reduziert haben müssen. Die letzten 10 oder 12 Prozent sind sicherlich die schwersten. Aber die entscheidende Frage ist: Schaffen wir 90 und 95 und bleiben nicht bei 40 oder 45 stehen? Damit wären die großen Bereiche Verkehr, Gebäude und Energie umgestellt.

Wie kommt die Energiewende jetzt tatsächlich voran, werden wirklich plötzlich schnell viele Windräder gebaut?

Da bin ich zuversichtlich. Mir ist aber noch etwas wichtig, nämlich, dass wir bei der Energieeffizienz vorankommen. Energieverbräuche runterbringen ist genauso Teil der Energiewende. Das bringt Unternehmen große Effizienzgewinne, sprich: wirtschaftliche Vorteile.

Mit der Atom-Entscheidung des Bundeskanzlers ist ja das Energieeffizienzgesetz versprochen worden. Warum ist es noch nicht da?

Wir haben das Gesetz geschrieben, noch mal überarbeitet, was ich selbst wichtig fand, jetzt liegt es in der Ressortabstimmung.

Muss der Kanzler dafür gegenüber der FDP noch ein sogenanntes Machtwort sprechen?

Es ist klar, dass das Gesetz zeitnah kommen muss.

Was heißt zeitnah?

Von unserer Seite aus sind wir fertig.

Ist die Atomdebatte wirklich erledigt?

Die Atomdebatte spielt keine Rolle mehr.

Die FDP hat es immer wieder probiert.

Ende des Winters werden die drei letzten AKWs abgeschaltet. Punkt.

Haben Sie schon Pläne für den 15. April, Mitternacht, wenn die letzten AKWs vom Netz gehen sollen?

Um Mitternacht werde ich hoffentlich schlafen.

Sie behaupten immer, Lützerath sei das „falsche Symbol“ für die Forderung nach Klimapolitik, die das Paris-Abkommen einhält. Welches wäre denn das richtige?

Lützerath ist per Gesetz das Ende des Braunkohleabbaus, nicht das Weiter so. Welches Symbol das richtige ist – nun, das wird die Klimabewegung selbst finden. Es kann nur schiefgehen, wenn ein Energieminister ihr sagen würde, wo sie demonstrieren soll.

Nach den Erfahrungen der letzten Wochen: Würden Sie mit Blick auf Lützerath etwas anders machen?

Wir beenden die Braunkohleverstromung im Westen acht Jahre früher als vorgesehen. Wir halbieren die Menge des erlaubten Braunkohleabbaus. Wir retten fünf Orte und drei bewirtschaftete Höfe. Wir schaffen Planungssicherheit, damit in Wasserstoffkraftwerke investiert wird. Deshalb: Nein. Die Lösung konnte nur so gefunden werden, wie wir sie gefunden haben. Sie war energiepolitisch nötig und klimapolitisch richtig.

Erwarten Sie eine zunehmende Verhärtung zwischen Aktivismus und Staat?

Es ist nicht akzeptabel, wie Polizistinnen und Polizisten pauschal verunglimpft werden und wie ein Teil der Aktivisten nach einer „Welt ohne Polizei“ ruft. Polizistinnen und Polizisten setzen jeden Tag ihre eigene Sicherheit für die Sicherheit anderer aufs Spiel. Die Polizei ist Teil unseres demokratischen Rechtsstaats. Wenn es Vorwürfe gegen Polizisten gibt, werden sie aufgeklärt, wie es Nordrhein-Westfalens Innenminister Reul gesagt hat.

Umgekehrt erwarte ich, dass sich die Klimabewegung glasklar von Gewalt distanziert. Ohne Hintertür. Gerade Klimaschutz handelt davon, Freiheit und Leben in einer Demokratie zu schützen. Und Gewalt ist kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Diese Frage finde ich viel relevanter als die, wie die Klimabewegung und die Grünen klarkommen. Für eine Regierungspartei ist es die logische Konsequenz, in einem Spannungsverhältnis zu einer Bürgerbewegung zu stehen.

Robert Habeck lehnt an einem großen Blumenkübel, aus dem ein Baum wächst

Die Atomdebatte spiele keine Rolle mehr, und das bleibe auch so, ist sich Robert Habeck sicher Foto: Sophie Kirchner

Die Spannung haben Sie aber auch innerhalb der Partei. Grüne Beschlüsse in der Regierung, grüner Polizeipräsident setzt sie durch – gegen Grüne Jugend im Widerstand?

Das zeigt nur, wie weit wir gesellschaftlich verankert sind.

Die romantische Illusion gibt es bei manchen immer noch, in der Opposition moralisch unantastbar zu bleiben und dabei den größeren Unterschied machen zu können?

Nein. Die Partei will regieren. Das ist ganz anders als in einer Zeit, die ich noch eher aus der Halbdistanz beobachtet habe. Damals hieß es: In der Regierung muss man so schwierige Entscheidungen treffen. Gehen wir lieber raus. Heute heißt es: Geht es nicht schneller? Kann man nicht mehr umsetzen? Gibt es nicht machtpolitische Hebel, die wir noch nicht gezogen haben? Ich finde das gut.

Einige Grüne finden, Sie sollten in der Regierung mehr Konfrontation wagen, härter verhandeln.

Wenn ich an den Verkehrsbereich und das Klimaschutz-Sofortprogramm denke: Weil wir so hart verhandeln, gibt es noch keine Lösung. Das Planungsbeschleunigungsgesetz ist im Koalitionsausschuss, weil auf dem Verhandlungswege keine Einigung erzielt werden konnte.

Im Koalitionsausschuss gab es bisher keine Einigung mit den FDP-Ministern Lindner und Wissing. Letzterer will in ein Planungsbeschleunigungsgesetz auch den Bau von Autobahnen reinnehmen. Sie werden nicht klein beigeben?

Es ist enorm wichtig, bestimmte Dinge schneller zu planen, zu bauen und zu genehmigen – bei der Bahn, beim Ersatz von maroden Brücken. Es dauert vieles schon sehr lange in Deutschland. Aber was nicht geht, ist, im Verkehr, wo wir eine riesige Klimaschutzlücke haben, jetzt erst mal alle Autobahnen schneller zu bauen. Und wir müssen priorisieren, allein schon wegen der Kapazitäten.

Warum haben die Grünen bei der Regierungsbildung auf das Verkehrsministerium verzichtet?

Wir haben nicht verzichtet, wir haben es nicht bekommen.

Und mehr Druck auf Wissing soll wirklich nicht möglich sein?

Es liegt nicht am mangelnden Druck. Wir brauchen in der Regierung halt Einstimmigkeit. Es gibt keine Kampfabstimmung im Kabinett. Die Dinge werden vorher geeint oder sie werden nicht beschlossen. Insofern braucht man Beharrlichkeit in der Überzeugungsarbeit. Und man spürt ja, dass sich auch gesellschaftlich die Vorstellung, wie Mobilität aussieht, verändert.

Jetzt kriegt die Gesellschaft wieder den Ball zurückgespielt?

Es ist es ja längst nicht mehr so, dass bei jungen Menschen der Wunsch nach dem eigenen Auto ganz oben steht. Carsharing ist nichts Exotisches mehr. In der Gesellschaft gibt es Bewegung, politisch arbeiten wir dran.

Von uns Bürgerinnen und Bürger sind Sie ja schwer begeistert. Was wir in der Krise für tolle Sachen machen und „dass wir zusammen Großes erreichen können, wenn wir uns anstrengen“…

… Das Land hat im vierten Quartal des letzten Jahres 22 Prozent Energie eingespart. Ich weiß von vielen Leuten, die die Heizung runtergedreht, auf Komfort verzichtet haben. Natürlich weiß ich auch von sehr vielen, die im letzten Herbst gelitten haben, die schiere Existenzangst hatten, vor der Höhe der Heiz- und Stromkosten, vor der Pleite ihres Unternehmens. Und trotzdem steht die demokratische Mitte, und wir sind hier in Deutschland bereit, bis auf wenige Trolle von Putin, die Ukraine weiter zu unterstützen und haben nicht vergessen, dass Putin uns diese Gemengelage eingebrockt hat. Ich finde, das ist eine große gesellschaftliche Leistung.

Na ja.

Wenn jemand meint, er kann auch mehr tun: Go for it. Aber insgesamt? Sind viele Dinge gut gelaufen.

Ein Grund, warum die große Krise ausbleibt, sind die hohen Temperaturen im Winter. Die Erderwärmung sei für die Weltwirtschaft 2023 eine gute Sache, sagt der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff.

So zynisch will ich nicht denken, und es ist auch nicht richtig. Aber es wird erkennbar wärmer, global, überall. Die Bilder von Skiliften in den Alpen mit grünen Wiesen sind ja ikonisch bitter, und alles spricht dafür, dass die Erderwärmung schneller voranschreitet, als es bisher wissenschaftlich angenommen wurde. Das ist ein schlimmer Befund. Und ein Grund mehr, in der Regierung dagegen anzuarbeiten. Und da komme ich wieder zum Anfang: Entscheidend ist Entschlossenheit im Handeln und so etwas altmodisches wie Disziplin.

Sie haben gerade den Jahreswirtschaftsbericht für 2023 vorgestellt. Die Notwendigkeit von Wachstum zum Erhalt von Wohlstand, Sozialstaat und so weiter und die planetarische Zerstörung durch fossiles Wachstum laufen weiter nebeneinander her.

Nein. Wir vollziehen gerade eine Kursänderung. Es geht nicht mehr um ein blindes Wachstum. Sondern darum, gezielt Investitionen – private und staatliche – in den Aufbau einer grünen Wirtschaft zu lenken. In klimafreundliche Innovationen. Wir nennen das transformative Angebotspolitik.

Im Moment ist nicht mal ein Tempolimit durchsetzbar. Wie soll in der Realität der große Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft vorankommen?

Als Erstes sollten wir mal das Rumnölen sein lassen, das Lamento, was alles nicht geht. Sondern sehen, was alles möglich werden kann. Wir sind mittendrin im Umbau. Unternehmen sind bereit, in den Aufbau von Wasserstoffkraftwerken zu investieren, in klimafreundliche Produktion, überall wird geforscht und getüftelt. Zigtausende bauen Wärmepumpen ein, setzen Solaranlagen aufs Dach. Es gibt Dynamik, Deutschland kann was. Das ist der Geist, den wir brauchen.

Ein Teil der Wissenschaft sieht den einzigen Weg in eine ordentliche Zukunft in weniger Wachstum, Fachausdruck Degrowth. Wir haben mal im Organigramm Ihres Ministeriums geschaut: Es gibt keine Degrowth-Abteilung.

Nein, die gibt es nicht.

Es gibt als Zukunftspfad nur den Green New Deal, also die Hoffnung auf eine gelingende Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wachstum?

Ein nicht qualifizierter Wachstumsindikator ist blind für die eigentliche Realität der Gesellschaft. Das Bruttoinlandsprodukt BIP setzt sich zusammen aus allen verkauften Gütern und Dienstleistungen des Landes. Mehr Bildung, mehr Bildungsausgaben, mehr Gesundheit, mehr Kultur: Das würde ich als gutes Wachstum bezeichnen. Wenn Leute ihr Haus sanieren und damit die CO2-Emissionen senken, also Baustoffe verwenden und Handwerker dort arbeiten, ist das eine gute Form von Wachstum. Produzieren wir Einwegplastik, als gäbe es kein Morgen, und schmeißen das in die Welt, dann sind das die falschen Güter. Von Ersteren brauchen wir mehr, von Zweiteren weniger.

Und nun die V-Frage: Geht der Wandel ohne Verzicht?

Die pauschale Frage trifft es nicht. Wir brauchen eine qualitative Veränderung. Die Märkte müssen bessere und ökologisch werthaltigere Produkte nach vorne bringen. Das ist sozialökologische Transformation. Daran arbeiten wir.

Also kein Degrowth in Deutschland?

Kein Degrowth, aber jede Menge Transformation.

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Eine Person sitzt auf einem Ausguck. Sie trägt eine blaue Hose und hat eine goldene Wärmedecke um die Schultern geschlagen. Außerdem trägt sie eine weiße Maske und eine Mütze. Szenerie aus Lützerath

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