: Rise and Fall of the „Feine Waldameisen“ Von Michael Rudolf
Einen kleinen Wald hatten wir uns gebaut. Zur Erholung und Entspannung sollt er uns dienen und zu allerlei Kurzweil. Wie bei jedem richtigen Wald haben wir mit Bäumen nicht gespart, den Waldboden haben wir mit Blumenerde ausgelegt, Blümchen hingestellt und auch einen dazu passenden Himmel ausgesucht. Blau sollte er sein, aber nicht zu blau. Den Standort der Wolken konnten wir erst nach kreativem Streit festlegen. Tiere setzten wir aus, die wir günstig ersteigert hatten. Besonders von der Familienpackung „Feine Waldameisen“ versprachen wir uns nicht wenig. Echt sollte alles sein. Doch als wir sie entließen, suchten sie das Weite. „Pah! Sonderangebot!“ entfuhr es Herrn Krüger verächtlich. Wir nickten zustimmend.
Als es uns nach Abend gelüstete, öffneten wir zwei Schachteln schwarze Luft, das war schon fast zuviel. Herr Riedel gab die Parole „Weinbrandstufe 4“ aus, was in etwa der aktuellen Waldbrandstufe entsprach. Wir packten unser Lagerfeuer aus – Grillkohle aus edelstem Tropenholz – und rösteten Trüffel am Spieß, Dosenbier sprudelte und erlesenste Virginiatabake machten schmauchend auf sich aufmerksam.
Erst als die schwarze Luft am nächsten „Morgen“ verblaßt war, sahen wir die eigentliche Bescherung. Die Ameisen waren zurückgekehrt und hatten sich auch gleich noch über dunkle Kanäle ein Multipack Läuse verschafft. Diese pappten sie enthemmt auf die Äste der von uns frisch hingestellten Bäume. Wollten wir uns im Schatten laben – wir hatten gerade unter großem Hallo eine tipptopp Spätsommersonne in den Himmel geschoben – so fielen sie wie Fallschirmjäger auf uns herab und vertrieben uns. Näherten wir uns den Zweigen, stellten sie sich auf ihre Hinterbeine und drohten mit ihren Vorderbeinchen wie mit Fäusten. Die Luft troff von Ameisensäure. Suizidal disponierte mobile Einsatzkommandos lenkten uns ab, indem sie engagiert in unsere Hosen zu kriechen begannen. Es war zum Läusemelken. Herr Riedel mahnte das Aufstellen von Schildern an: „So nicht!“ oder „Weitermachen verboten!“ oder „Abhauen erwünscht!“
Aber die Ameisen weigerten sich, die Schilder zu lesen. Wir umwickelten die Baumstämme mit dicken Klebestreifen, zermatschten mit Spachteln das aufmüpfige Ameisenfleisch, wir holten die Lötlampe, drehten die Feuerzeuge auf – da wurde nicht lange gefackelt bzw. ziemlich lange. Herr Holetzek goß endlich teureren Markenspiritus im Karree um die Wurzelbereiche der Bäume und schickte sich an, unsere Waldkreation planquadratweise zu entzünden. „Gleich bring' ich den ganzen Krempel zum Händler zurück!“ rief ich wütend.
Da tat sich Unerwartetes. Mit kleinen, weißen Blütenblättern, als weiße Fahnen gewissermaßen, nahte eine Abordnung der Ameisen und erklärte die Kapitulation, das habe die Kommandoebene soeben beschlossen. Man wolle, wie es auf der Packung stünde, jetzt endlich mal einen Ameisenhaufen bauen und uns überdies nicht mehr zur Last fallen. Nur nicht umtauschen. Geordnet trat man den Rückzug an, nicht ohne sich dabei obszöne Schimpfworte und Verwünschungen in Ameisensprache von diversen Scharfmachern einzuhandeln. Trotzdem: Von der Großpackung „Feine Waldameisen“ möchten wir füglich abraten.
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