: Riesenhuber ausgeladen
■ Sowjetregierung reagiert auf die Beleidigung Gorbatschows durch den Kanzler Absage erfolgte ohne Begründung / Genscher kritisiert indirekt Kohls USA–Auftritt
Berlin (dpa/taz) - Bevor die Öffentlichkeit dem Spiegel entnehmen konnte, daß die Sowjetunion der Bundesregierung „mit Konsequenzen“ drohe, falls Kohl sich nicht „kategorisch“ von seinem Vergleich zwischen Gorbatschow und Goebbels distanziere, sind die Konsequenzen schon eingetreten: Am Samstag wurde Bundesforschungsminister Riesenhuber von seinem geplanten Besuch in Moskau kurzfristig ausgeladen. Riesenhuber wollte am Dienstag ein deutsch–sowjetisches Nuklear–Abkommen über die Zusam menarbeit bei der atomaren Grundlagenforschung sowie über Reaktorsicherheit, Strahlenschutz und über den Umgang mit Atommüll unterzeichnen. Die Ausladung erfolgte ohne Begründung. Allerdings erklärte die Bonner Sowjetbotschaft, daß die Absage an Riesenhuber „im Zusammenhang“ mit der Kohl–Äußerung stehe. Laut Spiegel dieser Woche hat der sowjetische Botschafter Kwizinski am Donnerstag dem Kanzleramtsminister Schäuble ein sogenanntes Non– paper überreicht. In diesem Papier heiße es, es herrsche „tiefe Entrüstung“ über die „unwürdigen Äußerungen“ des Kanzlers. Ohne eine „persönlich klare und überzeugende“ Distanzierung seien „normale Beziehungen zur Regierung der Bundesrepublik unmöglich.“ Bisherige Rechtfertigungsversuche Kohls seien „nicht zufriedenstellend“. Kohl selbst will in die für Donnerstag vorgesehene Aktuelle Stunde des Bundestages, die die Grünen gefordert hatten, mit einer Regierungserklärung eingreifen. Fortsetzung auf Seite 2 In der Welt hat der Kanzler inzwischen erklärt, er „bedauere“ den Vergleich zwischen Gorbatschow und Goebbels. Der SPD– Fraktionsvorsitzende Vogel meinte, es mehren sich die Anzeichen, daß Kohls „Entgleisung“ zu einer „dauerhaften Belastung der deutsch–sowjetischen Beziehungen“ führe. Indirekt, aber unüberhörbar setzte sich Außenminister Genscher auf dem 10. Bundeskongreß der Jungliberalen von Kohl ab. Er verwies auf die „Millionen Toten, die die Völker der Sowjetunion durch den Überfall Hitlers verloren haben“ und betonte, daß deswegen der Abrüstungswille Gor batschows und die „neuen Formen“ seiner Politik ernstzunehmen seien. In deutlicher kritischer Anspielung auf Kohls USA–Auftritt nach Reykjavik - wo bekanntlich Kohls Satz fiel - sagte Genscher: „Niemand kann zurück in die Zeit vor Reykjavik. Und wir Deutschen sollten die letzten sein, die das versuchen.“ Kohls Versuch, das Goebbels Zitat zu entschärfen, hat neue Beleidigte auf den Plan gerufen: die Deutsche Public Relations–Gesellschaft. Der Hinweis des Kanzlers, er habe Gorbatschow nur mit Goebbels verglichen, weil der NS–Propagandaminister auch ein „PR–Experte“ sei, führte dazu, daß jetzt auch der Präsident jener PR–Gesellschaft, Jung, ebenso wie die Sowjetregierung „Klarstellung“ verlangt.
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