: Rhetorik und Kosmetik
■ Wie eine Parfümerieverkäuferin zwischen Tauentzien und Ku'damm biographische Fetzen verdichtet
Es muß so sein, daß die Schulung des Verkaufspersonals in der Kosmetikindustrie an erster Stelle die Kunst der Rhetorik beinhaltet.
Ich suchte, durch Sommerhitze und Indifferenzen bereits angegriffen, eine Parfümerie der höheren Klasse auf, machte zwei Schritte auf die Verkaufstheke zu und wurde von dem gemessenen Lächeln eines in allen Einzelteilen vollendet präparierten Geschöpfes in Empfang genommen. Das Geschöpf kam mir entgegen, als empfänge es mich am Rand der Wüste mit einem Becher Wasser, zögere aber, mir den rettenden Schluck zu reichen, weil es noch meine Fähigkeit zu zivilisiertem Trinken prüfe. Das Lächeln war natürlich auch ein berechnendes Vergleichslächeln - ihr Rouge gegen meine Wangenknochen, ihre Fingernägel gegen meine usw. Ich wünschte ein Cremedöschen. Das Geschöpf reagierte mit einem kurzen Schließen und Wiederöffnen der Augenlider, ausdrückend, daß die Herausgabe des Döschens ein geringes, das geringste Problem darstelle.
Dann wurde ich angeschaut; ein Anschauen zwischen Betrachtung und Inspektion. Schlangen machen seit Erschaffung der Welt nichts anderes, als ihre Opfer mit solchen Blicken zu fixieren, ihren nervlichen Widerstand auf diese Weise zu brechen, um im besten Moment an der besten Stelle Gift zu injizieren. Natürlich sei die Creme, die ich wünsche, gut für mich, sagte das Lächelgeschöpf. Ich hätte, noch halbwegs jung, gerade den Zeitpunkt erwischt, an dem der Einsatz einer Creme noch Wunder wirken könne. Aber warum es nur die eine Creme sein solle, ich machte doch insgesamt den Eindruck einer anspruchsvollen - sie sagte nicht: modernen - Frau. Dann kam der Biß, das Gift der Rhetorik: Sie könnten doch viel mehr aus sich machen!!
Das war's. Der smart und sybillinisch vorgetragene Satz löste in meinem Kopf Alarm aus. Das war die Analyse, die Verurteilung, die Verdammung. Eine Parfümerieverkäuferin zwischen Tauentzien und Ku'damm hatte meine in Fetzen und losen Teilen herumliegende Biographie, mein vertrödeltes Dasein mit einem Satz auf den Nenner gebracht. Ich hatte nichts aus mir gemacht. So war es. Keine eigene Familie, kein regelrechter Beruf, keine Fremdsprache, gigantische Bildungslücken, die mich ständig zwangen, auf intellektuellen Improvisationen und Momenteinfällen herumzubalancieren. Was ich zu Papier brachte, war Zeug zum knappen Gelderwerb, ohne Sinn, Richtung und Engagement. Warum war es mir nie gelungen, mich vom Ufer abzustoßen und in einen soliden, wenigstens vergnüglichen Lebensfluß zu kommen, innerhalb von zwanzig Jahren eine Frisur zu finden, die zu mir paßte?
Ich hatte nichts aus mir gemacht. Selbst ein Analytiker hätte an meiner Mittelmäßigkeit so wenig Freude wie eine Kosmetikverkäuferin. Ich willigte in den Termin für eine größere kosmetische Behandlung ein sowie in den Erwerb einer Pflegeserie, deren Lückenlosigkeit sich zu meinen kosmetischen Säumnissen verhielt wie die Summe der Zehn Gebote zur sündhaften Veranlagung der Menschheit.
Die Wiederholung der Szene, die wie jede Wiederholung vor allem darüber Auskunft gibt, ob der Pegel der Abwehrkräfte gestiegen oder gesunken ist, hatte nicht mehr das Format und die Wirkung des Jüngsten Gerichts. Sie kam über die Gardinenpredigt nicht hinaus.
Sie befestige allerdings meine These, daß in den Hexenküchen der kosmetischen Industrie außer Salben gegen Krähenfüße Reden gegen die Naivität schlummernden Selbstbewußtseins ausgekocht werden.
Noch einmal betrat ich, in gespielter Eile und mit aufgetragener Gereiztheit, ein Kosmetikgeschäft, mehr oder weniger identisch mit dem ersten. Ich blieb in der Ladenmitte stehen und winkte von mir aus eine Verkäuferin her, um nicht den Eindruck einer Person zu erwecken, die sich willenlos überfallen läßt. Ich erklärte ihr knapp, was ich wollte, einen bestimmten Artikel und nur den. Die Verkäuferin unterwarf sich meiner Nüchternheit, drehte sich um und ging auf ein Regal zu.
Aber sie drehte sich nach zwei Schritten zurück und redete mich an. Sie versuchte es mit einem kurzen didaktischen Ausflug in die Kosmetikindustrie. Es gebe trockene, feuchte oder trocken-feuchte oder trocken-fette, also gemischte Hauttypen. Ich nickte nervös, Bescheid wissend. Es sah so aus, als würde sie sich wieder dem Regal zuwenden, um meinen Artikel zu holen. Sie hatte schon zu sprechen aufgehört, aber sie fing noch einmal an und redete den Rest rasch und sachlich herunter. Es gebe außerdem Typen von Haut, die auf den ersten Blick nichts als gut, gesund und natürlich wirkten. Ein solcher Hauttyp sei meiner. Denn meine Haut wirke jung und in Ordnung, zumindest sage dies die Oberfläche. Darunter aber! Sie pausierte, schloß aber: Vom Typ her sind Sie ein Blender!
Es ist natürlich aufschlußreich zu wissen, daß ein Blender jener Hauttyp ist, der deswegen glatt wirkt, weil in den Poren Talg zu Hause ist, der den Falten den Platz streitig macht. Ungute Substanz also, die der Kenner sofort als Ursache erschwindelter Schönheit, als Talmi durchschaut. Im Kosmetikjargon heißt dies nun also Blender, und das rhetorische Verfahren der Branche war mir ja schon bekannt.
Ursula März
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