: Revolution ist wieder legal
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) wird die diesjährige Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration nicht verbieten. Neuer Innenausschuss diskutiert über die NPD-Demo gegen die Wehrmachtsausstellung
von PLUTONIA PLARRE
Einen ganzen Vormittag lang hatten sich die Parlamentarier bei der ersten Sitzung des Innenausschuss über Demonstrationskultur und Gewalt die Köpfe heiß geredet. Doch das Entscheidende verriet Innensenator Ehrhart Körting (SPD) erst nach dem Ausschuss: Ein Verbot der Kreuzberger Revolutionären 1.-Mai-Demonstration wird es im Jahr 2002 nicht geben. Der Ablauf des 1. Mai sei mit einem Verbot „nicht zu steuern“, sagte Körting, der am Donnerstag zum Innensenator des rot-roten Senats gewählt wird.
Bislang hatte sich Körting stets vor einer klaren Antwort gedrückt, ob er dem Beispiel seines CDU-Vorgängers Eckart Werthebach folgen werde, der die 1.-Mai-Demonstration im vergangenen Jahr erstmals verboten hatte. Das Verbot war vom Verwaltungsgericht bestätigt worden. Sein Ziel, das Krawallritual 1. Mai zu durchbrechen, hatte Werthebach allerdings nicht erreicht. Im Gegenteil. Das Verbot hatte die Randalelust der Jugendlichen erst richtig angeheizt.
Körting will stattdessen das Deeskalationkonzept der Polizei ausbauen und versuchen, „mit möglichst vielen Gruppen im Vorfeld des 1. Mai ins Gespräch zu kommen“. Bündnis 90/Grüne und PDS hätten bereits Unterstützung angeboten. „Wir wären dumm, wenn wir das nicht annehmen würden.“ Es wäre eine Illusion zu glauben, dass der 1. Mai ein Friede-Freude-Eierkuchen-Tag werde, so Körting. Aber die Polizei werde unnötige „Aufmuskelspiele vermeiden“, um die Stimmung ihrerseits nicht aufzuheizen.
Körtings Plan ist es, „Freibereiche“ zu schaffen, „in den möglichst viel passieren kann“. Darunter könne auch die Tolerierung von Lagerfeuern fallen, solange in diesen nicht Autoreifen oder gar ganze Pkws verbrannt würden. Wenn es erforderlich sei, werde aber ohne Wenn und Aber eingegriffen, stellte der Senator klar.
Im Innenausschuss war es zuvor um die NPD-Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung am 1. Dezember gegangenen. Obwohl seinerzeit lange zuvor festgestanden hatte, dass die Neonazis entgegen ihrer ursprünglichen Anmeldung nicht durch das Scheunenviertel ziehen würden, hatten Polizei und Innenverwaltung dies vor der Öffentlichkeit gezielt geheim gehalten. Mehrere tausend Berliner waren daraufhin einem Aufruf zur Gegendemonstration gefolgt, um im Scheunenviertel präsent zu sein. Vor der Synagoge in der Oranienburger Straße war es an einer Straßensperre der Polizei daraufhin es zu einer heftigen Straßenschlacht gekommen.
Vor den Abgeordneten bekräftigte Körting gestern nochmals, was er schon nach der NPD-Demonstration gesagt hatte: „Aus der Rückschau war es ein Fehler, nicht zu sagen, dass die Demonstration nicht durch das Scheunenviertel führt, weil dies eine Menge Leute beunruhigt hat.“ Mit der Geheimhaltung der neuen Route habe die Polizei verhindern wollen, dass Gegendemonstranten dort frühzeitig Gewalttätigkeiten hätten vorbereiten könnten.
Auch wenn es in der Beurteilung der Situation vor Ort und des Verhaltens der Polizei im Ausschuss gestern sehr unterschiedliche Einschätzungen gab, in einem Punkt herrschte zwischen den Abgeordneten von SPD, PDS, Grünen und der FDP seltene Einmütigkeit: Das Demonstrationsrecht bedürfe keiner Verschärfung.
Nur die CDU bewegte sich im altbekannten Fahrwasser, in dem sie der PDS und den Grünen eine heimliche Sympathie für Gewalt unterstellte und eine Änderung des Demonstrationsrechtes forderte.
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