: Revolte im Nordlibanon endete mit Massaker
■ Syrische Soldaten umzingelten eine Hochburg der fundamentalistischen Tauhid–Bewegung in Tripolis, während libanesische Milizionäre Jagd auf die Kämpfer machten / Angst und Schrecken im Tabbaneh–Viertel / Dabei starben etwa zweihundert Menschen / PLO–Chef Arafat soll den Aufstand angeblich finanziert haben
Tripolis (wps) - Wer Angst hatte, traute sich in jener Nacht vor drei Wochen nicht aus seinem Haus, als pro–syrische libanesische Milizionäre seinen Namen riefen. Die Arme um Frau und Kinder gelegt, kauerten Männer in den Ecken. Andere gingen nichtsahnend auf die Straße. Wieder andere verließen die Häuser, um sich in Gemüseständen zu verstecken oder zu fliehen. Alle wurden erschossen, die meisten von ihnen erlagen ihren Kopfverletzungen, wie Augenzeugen, Krankenhauspersonal und Sanitäter berichteten. Viele der Opfer trugen Pyjamas oder Nachthemden. „Es gab keinerlei Anzeichen dafür, daß sie Kämpfer waren“, erzählte ein Augenzeuge, der beobachtete, wie die Leichen weggeschafft wurden. „Ich brachte fünfzehn Tote aus den Häusern“, berichtete ein Sanitäter, „drei davon waren Frauen.“ Über zweihundert sunnitische Fundamentalisten, Angehörige und Nachbarn, starben in einer von Syrien unterstützten Säuberungsaktion in dem schäbigen Slumviertel Tabbaneh der nordlibanesischen Stadt Tripolis, einer Hochburg religiöser Rigoristen, die davon träumten, die Hafenstadt in eine islamische Festung für wahre Gläubige zu verwandeln. Der syrische Verdacht, die Fundamentalisten, die Beziehungen zu PLO–Chef Arafat unterhalten, planten für den Neujahrsabend einen Aufstand, hat nach Ansicht der Fundamentalisten– Bewegung Tauhid die Repressionswelle im Dezember ausgelöst. Die Vorgeschichte Laizistische und linksgerichtete libanesische Fraktionen wie auch die Mehrheit der Einwohner von Tripolis haben die langsame Rückkehr der Tauhid–Anhänger in die Stadt mit Beunruhigung beobachtet. Der starke Einfluß der Gruppe in den Jahren 1983 bis 1985 bescherte ihnen den Vorgeschmack einer islamischen Herrschaft. Geschäfte, die Alkohol verkauften, und Damenfriseurläden, die von Männern geführt wurden, flogen in die Luft. Christliche Gemeindeschulen wurden aufgefordert, Koranstunden zu geben, und Frauen wurden gewarnt, in der öffentlichkeit nicht ohne Kopfbedeckung und lange Ärmel zu erscheinen. Im Jahre 1984 massakrierten die Fundamentalisten mindestens 50 Mitglieder der Kommunistischen Partei und vertrieben sie und andere linke Organisationen aus der Stadt. In einer Runde von Bürgerkriegskämpfen im September 1985 erlitten die Fundamentalisten eine Niederlage. In der Folge drängte eine verstärkte syrische Präsenz die Bewegung in den Untergrund. Die jüngsten Ereignisse wurden nach Angaben der Fortschrittlichen Syrischen Nationalpartei ausgelöst, als syrische Soldaten Sami Turk, den Verantwortlichen der Tauhid für die Reorganisierung der bewaffneten Untergrundzellen in Tabbaneh, am 18. Dezember verhafteten. Gruppen wütender Anhänger der lokalen „Prinzen“ von Tauhid gingen mit ihren Waffen auf die Straßen und töteten fünfzehn syrische Soldaten an Kontrollpunkten in der Um gebung der Stadt - gegen den Willen von Scheich Saed Chabaan, dem Führer von Tauhid. Chabaan, ein Geistlicher mit engen Beziehungen zur iranischen Führung, verurteilte später die gescheiterte fundamentalistische Verschwörung und sprach von einer verrückten Aktion, die nur Leid und Zerstörung bringen könne. 36 Stunden Kämpfe Binnen Stunden strömten Milizionäre linker libanesischer Parteien und Mitglieder alawitischer Moslemgruppen, die mit Syrien verbündet sind, in die staubigen, engen Straßen, während syrische Soldaten das Gebiet umstellten. Haus–zu–Haus–Durchsuchungen nach Waffen lösten einen 36–stündigen Kampf aus, bei dem Raketen und Artilleriefeuer bis in die Mittagsstunden des 20. Dezember zu hören waren. Krankenwagen wurden von den Milizionären zurückgewiesen, um das Entkommen von Tauhid–Mitgliedern zu verhindern. Sanitäter wurden gewarnt, daß Verletzte an Ort und Stelle hingerichtet werden würden, falls sie abtransportiert würden. Augenzeugen berichten, am nächsten Tag hätten Leichen zwischen umgestürzten Karren auf dem Gemüsemarkt gelegen. Zwei Häuser seien infolge heftigen Beschusses über ihren Bewohnern zusammengestürzt. Sichere Zahlen über Tote und Verletzte gibt es nicht. Die syrische Version Die syrische Version der Tauhid–Verschwörung ist, daß die Organisation eine Reihe von Häusern angemietet habe, um sie als Basis und Ausgangspunkt für die bewaffnete Verschwörung zu benutzen. Der Chef des syrischen militärischen Geheimdienstes im Libanon, Oberst Ghazi Kanaan, erklärte gegenüber dem Organ der Kommunistischen Partei: „Unsere Rolle war es, die Kämpfer ausfindig zu machen. Wir haben die meisten von ihnen festgenommen und diejenigen, die Widerstand leisteten, wurden bei den Zusammenstößen getötet.“ Eine Überlebende und ihre Tochter berichteten, daß die syrischen Soldaten mit Namenslisten gekommen seien. Aus linksgerichteten Kreisen der Stadt war zu erfahren, daß diese ihre eigenen Geheimdienstinformationen mit den Syrern koordiniert hätten, um sie zu überzeugen, etwas gegen die Infiltrierung der Fundamentalisten zu unterehmen. Zahlreiche Verwandte der Opfer identifizierten ihre Toten nicht und nahmen auch an der Beerdigung aus Angst nicht teil. Syrische Soldaten schrieben Namen von Krankenbesuchern in den Krankenhäusern und nahegelegenen Kontrollpunkten auf. Am Wochenende nach Weihnachten wurde die Säuberungsaktion auch auf Dörfer im Dinniyeh–Tal östlich der Stadt ausgedehnt. Die Rolle der pro–syrischen Milizen Einwohner von Tripolis und Tauhid–Kreise bezeichnen die Rolle der syrischen Soldaten als zurückhaltend im Vergleich zu der ihrer libanesischen Verbündeten. „Sie entsprach der Rollenverteilung zwischen der israelischen Armee und den christlichen Milizen in den Flüchtlingslagern Sabra und Chatila,“ gab ein Gesprächspartner an. Hunderte von palästinensischen und libanesischen Zivilisten waren dort im September 1982 von christlichen Milizionären niedergemetzelt worden, während israelische Truppen das Gebiet abriegelten. Die Zahl der am Massaker in Tabbaneh beteiligten Milizionäre wird auf rund 300 geschätzt. Die meisten von ihnen kamen aus den Reihen der Arabischen Demokratischen Partei, der Kommunistischen Partei, der pro–syrischen Baath–Partei und der Fortschrittlichen Syrischen Nationalpartei. Konflikte mit den Syrern und pro–syrischen Gruppen hat es in Tripolis wiederholt gegeben. Die Sunniten in dieser 200 000 Einwohner zählenden Stadt fühlten sich von der zunehmenden Zahl von Alawiten herausgefordert, die aus dem benachbarten Syrien zugewandert waren und sich im von Syrienkontrollierten Nordlibanon angesiedelten. Auch einige Mitglieder der syrischen Moslembrüder sunnitische Fundamentalisten, die in Opposition zum Assad– Regime stehen haben in Tripolis Zuflucht gesucht. Eine Straße, die das Alawiten–Viertel Baal Mohsen von der Tauhid–Hochburg trennt, ist eine der heißen Punkte der Stadt. Die Syrer hatten Anzeichen für die geplante Verschwörung mit Sorge beobachtet. Die führenden „Prinzen“ - ein Titel, der aus der Zeit der Kalifen nach dem Tod des Propheten Mohammed stammt - waren außerhalb der Stadt tätig, um ihren Mitstreitern Geld und Waffen zu verschaffen. Einer von ihnen, Haschem Minkara, der Prinz des Hafenbezirks der Stadt, ist jetzt von den Syrern in der entlegenen Bergregion von Sir Dinniyeh festgenommen worden. Minkara war im September 1985 in die Berge geflohen. Beziehungen zwischen Tauhid und Arafat Die Truppen Chabaans hatten im Jahre 1983 die schweren Waffen Arafats und seiner Anhänger geerbt. Der PLO–Chef unterhielt enge Beziehungen zu Chabaan, Minkara und zwei weiteren Prinzen, Kanaan Naji und Khalil Akkawi, der letztes Jahr ermordet wurde. Zwar hat Tauhid–Chef Chabaan vor zwei Jahren seine Kontakte zu Arafat zugunsten des Iran abgebrochen, aber Naji und Minkara hatten unter der Hand nach wie vor einen Draht zum PLO–Chef, wie es in Kreisen von Tauhid heißt. Naji hat sein Aktionsfeld nach einem Aufenthalt in Tunis, dem Sitz des PLO–Chefs, in die südlibanesische Stadt Saida verlegt, wo die Palästinenser kürzlich der mit Syrien verbündeten Amal–Bewegung eine militärische Niederlage bereitet hatten. Naji wollte nun offenbar die Gunst der Stunde nutzen, nachdem es im Zuge des „Lagerkriegs“ zwischen Amal und den Palästinensern schien, als habe die syrische Kontrolle über den Libanon nachgelassen. Naji sei der wichtigste Finanzier der gescheiterten Verschwörung gewesen und habe Geld von Arafat erhalten, heißt es in Kreisen von Tauhid. Von einer palästinensischen Beteiligung an den Kämpfen war indes nicht die Rede. Mit seiner harten Reaktion auf die Herausforderung der Fundamentalisten hat Syrien erneut den Anspruch auf seine Vormachtstellung im Libanon demonstriert.
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